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der Moral sind nach Machiavelli ungeeignet, um den Fürsten in seinem politischen Handeln zu lenken. Der
Fürst lebt nicht in einer Welt von Engeln, sondern in einer Welt der Macht, der Intrigen und Missgunst. »Daher muss ein Fürst«,
schreibt er, »der sich behaupten will, auch imstande sein, nicht gut zu handeln und das Gute zu tun und zu lassen, wie es
die Umstände erfordern.«
Machiavelli führt in die Gattung des Fürstenspiegels völlig neue Bewertungsmaßstäbe ein: Entsprechend radikal verändert sich
das Bild des idealen Herrschers, der nun nichts mehr mit dem moralisch vollkommenen Fürsten zu tun hat. Machiavelli lenkt
seinen Blick vielmehr, im wörtlichen Sinn, auf den »Boden der Tatsachen«: »Ich lasse also die Fantasien über den Fürsten beiseite
und rede von dem Tatsächlichen«, so umschreibt er sein Programm.
Die konkrete Erfahrung, wie sich Herrscher und Beherrschte in ihrer Beziehung zueinander verhalten, führte Machiavelli zunächst
zu einem veränderten Menschenbild. Die klassische politische Philosophie, wie sie in der Antike vor allem von Platon oder
Aristoteles entwickelt worden war, sah den Menschen als ein Vernunftwesen, bei dem die Vernunft die natürliche Herrschaft
über die Leidenschaften und Triebe innehat. In einer politischen Ordnung, die genau nach diesem Modell der Vernunftherrschaft
aufgebaut ist, findet der Mensch seine natürliche Selbstverwirklichung. So gelangte zum Beispiel Platon zu seiner Idee der
Philosophenkönige.
Machiavellis Mensch dagegen wird vor allem von Leidenschaften beherrscht. Ein Herrscher, der immer vernünftig handelt oder
bei seinen Untertanen vernünftige Reaktionen voraussetzt, muss scheitern. Der Herrscher, der wie bei Erasmus Güte und Weisheit
zeigt, wird von seinem Volk als schwach verachtet und von seinen Rivalen hintergangen werden. Der Herrscher hingegen, der
nach Machiavellis Theorie erfolgreich sein will, soll sich nicht vornehmlich an die Vernunft, sondern an die Leidenschaften
der Menschen wenden. Er |44| muss auf der Klaviatur der Stimmungen spielen können. Machiavelli hat also bereits jene Form der politischen Strategie im
Auge, die man heute als »Populismus« bezeichnet.
Aber auch in anderer Beziehung ist Machiavellis Fürst eine eher moderne Figur. Er ist kein mittelalterlicher Feudalherr mehr.
Die Bezeichnung »Herrscher« oder »Machthaber« ist sehr viel treffender, weil Machiavelli Herrschaft nicht mehr auf Geburt
oder Erbfolge gründete. Die politischen Verhältnisse im Italien der Renaissance lieferten Anschauungsmaterial genug, um zu
begreifen, dass der Anspruch auf Herrschaft sich nur noch in wenigen Fällen auf dynastische Rechte berief. Viel häufiger waren
inzwischen Machtergreifungen durch Umsturz, Eroberung oder geschickte Diplomatie. Sie konnten mit Hilfe eigener oder fremder
Waffen, durch eigenes Verdienst oder durch ein glückliches Schicksal erfolgen.
Machiavelli interessiert sich charakteristischerweise am meisten für den Fall, der das größte Risiko in sich trägt und der
von dem neuen Herrscher das meiste Geschick erfordert: den Machterwerb mit Hilfe fremder Waffen und des Schicksals, der »Fortuna«.
An diesem Modell kann er am ehesten demonstrieren, wie ein kluger Umgang mit Macht aussieht. Hier zeigt sich das wahre politische
Genie. Machiavellis Fürst ist kein Herrscher »von Gottes Gnaden«, sondern ein politischer Selfmademan, ein Mechaniker der
Macht.
Das lebende Vorbild dafür war Cesare Borgia, dessen Verhalten Machiavelli aus der Nähe studiert hatte. Borgia hatte sein Herzogtum
durch eine Schenkung seines Vaters erhalten. Er vergrößerte seine Macht zielstrebig, schuf sich eigene Streitkräfte und erwarb
sich den Respekt seiner Untertanen. Er nutzte die Gunst Fortunas durch eigene Tatkraft. Aber es war andererseits der blinde
Glaube an Fortuna, der ihn wieder zu Fall brachte, als er einen ehemaligen Feind zu mächtig werden ließ. Cesare Borgia ist
für Machiavelli in vielem ein idealer Herrscher – jedoch um vollkommen zu sein, fehlt ihm die Fähigkeit, Fortuna nicht nur
zu folgen, sondern sie auch zu steuern.
»Fortuna« ist einer der beiden Schlüsselbegriffe in Machiavellis politischer Philosophie. Der zweite ist »Virtu«, der traditionell
mit |45| »Tugend« übersetzt wurde. Der ideale Herrscher zeichnet sich dadurch aus, dass er die Virtu entwickelt, mit der er Fortuna
beherrschen kann. Dies stand noch ganz im Einklang
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