Physiologie der Ehe (German Edition)
ebenso wollüstig wie die Italiener.
Du wirst also versuchen, den verhängnisvollen Augenblick, wo deine Frau dich um ein Buch bitten wird, so weit wie möglich hinauszuschieben. Das wird für dich ein leichtes sein. Zunächst wirst du in verächtlichem Ton das Wort ›Blaustrumpf‹ aussprechen; wenn sie dich um eine Erklärung bittet, setzest du ihr auseinander, wie lächerlich bei unsern Nachbarn die pedantischen Frauen sind.
Dann wirst du ihr recht oft wiederholen, daß die liebenswürdigsten und geistreichsten Frauen von der Welt in Paris seien, wo die Frauen niemals lesen.
Mit den Frauen gehe es wie mit den vornehmen Leuten, die nach Mascarille alles wissen, ohne jemals etwas gelernt zu haben.
Eine Frau müsse beim Tanzen oder beim Spielen, ohne daß es auch nur aussähe, als ob sie zuhöre, aus den Gesprächen geistig bedeutender Männer die fix und fertig bearbeiteten Ausdrücke aufzuschnappen wissen, mit deren Hilfe in Paris Dummköpfe für geistreiche Leute gelten.
In unserm Lande reiche man sich bestimmt formulierte Urteile über Menschen und Dinge von Hand zu Hand, und der leise, aber scharfe Ton, womit eine Frau einen Schriftsteller kritisiert, ein Buch in Grund und Boden verdammt, naserümpfend ein Gemälde verurteilt, habe mehr zu bedeuten als ein Gerichtsbeschluß.
Die Frauen seien schöne Spiegel, die ganz natürlicherweise die glänzendsten Ideen am glänzendsten zurückwerfen müßten.
Der natürliche Geist sei die ganze Hauptsache, und man lerne viel mehr aus dem, was man in der Gesellschaft höre, als aus dem, was man in den Büchern lese; schließlich bekomme man vom Lesen blöde Augen – usw. usw.
Einer Frau die Freiheit lassen, alle jene Bücher zu lesen, zu denen ihre Geistesanlage sie hinzieht – das heißt ja geradezu einen Funken in eine Pulverkammer werfen; ja, schlimmer noch als das: das heißt deine Frau lehren, sich ohne dich zu behelfen, in einer Welt der Einbildung, in einem Paradiese zu leben. Denn was lesen die Frauen? Leidenschafterfüllte Bücher, Rousseaus Bekenntnisse, Romane und alle jene Dichterwerke, die am mächtigsten auf ihre Empfindsamkeit wirken. Sie lieben weder die Vernunft noch die reifen Früchte. Nun, hast du jemals daran gedacht, was für Erscheinungen durch diese poetische Lektüre hervorgerufen werden?
Die Romane, ja eigentlich überhaupt alle Bücher, malen Gefühle und Verhältnisse in viel glänzenderen Farben, als wir sie in der Natur vorfinden. Dieser fesselnde Zauber entspringt weniger dem Wunsch jedes Schriftstellers, sich vollkommen zu zeigen, indem er feinsinnige und ausgesuchte Ideen vorbringt, als vielmehr einer unerklärlichen Arbeit unserer eigenen Intelligenz. Es liegt in der Bestimmung des Menschen, alles zu reinigen und zu veredeln, was er dem Schatze seiner Gedanken einverleibt. Wie viele Gestalten, wie viele Denkmäler werden nicht verschönert durch die Bewunderung der ihnen zugrunde liegenden künstlerischen Absicht? Die Seele des Lesers wirkt bei dieser Verschwörung gegen die Wahrheit mit, teils durch das tiefe Schweigen, dessen er genießt, teils durch die von dem Feuer der Geistesschöpfung in ihm entzündete Begeisterung, teils durch die Reinheit, womit die Bilder in seinem nachschaffenden Geiste sich widerspiegeln. Welchem Leser von Jean Jacques' Bekenntnissen stand nicht Frau von Warens hübscher, als sie in Wirklichkeit war, vor den geistigen Augen? Man möchte sagen, unsere Seele liebkose Gestalten, die sie früher unter schöneren Himmeln von ferne erblickt hat; sie benutze die Schöpfungen einer andern Seele nur als Flügel, um sich in den Luftraum zu erheben. Den zartesten Zug vervollkommnet sie oft, indem sie ihn sich zu eigen macht; Lesen ist vielleicht ein Schaffen zu zweien. Fühlen wir vielleicht instinktmäßig in diesen Geheimnissen der Transsubstantiation der Ideen eine Berufung zu höheren Geschicken, als unsere gegenwärtigen es sind? Ist es eine Überlieferung aus einem früheren verlorenen Leben? Und was war denn das für ein Leben, wenn schon dieser Überrest uns so viele Wonnen bietet?
Es ist also anzunehmen, daß die Frau, die viel mehr zur Begeisterung geneigt ist als wir, beim Lesen von Dramen und Romanen in berauschenden Wonnen schwebt. Sie schafft sich ein ideales Dasein, neben welchem alles andere verblaßt; und gar bald wird sie versuchen, dieses wonnige Leben zur Wirklichkeit zu machen, dessen Zauber auf sich selber anzuwenden. Unwillkürlich gelangt sie vom Geist zum Buchstaben, von der Seele zu
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