Piesberg in Flammen
eigenes Leben. Sie hatte Beziehungen. Sie ging aus. Es waren die wilden Siebziger. Sie hat ihre Eltern vor die Tür gesetzt.«
»Ich habe sie nie gemocht«, stellte Doña Francisca fest. »Mein Sohn war ja ganz vernarrt in sie.«
»Solche Geschichten liest man oft«, mischte Hero Dyk sich ein. »Kaputt zu sein gehört dazu, wenn man prominent ist.«
»Ja, aber damals wusste man das nicht. Dann kam der Erfolg zurück, und es wurde schlimmer. Ihr groÃer Hit âºMaantje timpe teâ¹ wurde überall gespielt. Party ohne Ende, und die Siedlung stand im Mittelpunkt. Ein paar Jahre später, sie muss Mitte zwanzig gewesen sein, hat sie ganz überraschend geheiratet, es war wie in einem groÃen Taumel. Das war 1981. Meine Evelin war damals zwei Jahre alt. Ich habe meine Familie erst spät gegründet, wissen Sie. Ich war dreiundvierzig Jahre alt, als sie zur Welt kam.«
»Ein respektables Alter«, bemerkte Doña Francisca.
»Nicht wahr?«, fuhr er fort. »Wir in Pye haben uns um Jacqui Sorgen gemacht, denn wir kannten sie. Sie war eine von uns. Ihren Mann kannten wir auch. Ein ordentlicher Kerl. Sie hat seinen Namen angenommen, damals ging es nicht anders. Er war ein Handwerker, der sich für sie um die Häuser kümmerte. Die beiden bekamen keine Kinder. Ich erinnere mich an die Zeit, als sie Simon adoptierten. 1989 war das, damals öffnete sich die Mauer nach Ostdeutschland. Ihre Karriere ging erneut zu Ende, es hielt nicht lange. Der Junge war drei Jahre alt, als ich ihn das erste Mal untersuchte. Sie wissen, dass seine linke Hand verkrüppelt ist. Verbrannt. Die eigene Mutter hat das getan.«
»Der arme Junge«, sagte Doña Francisca.
»Sehen Sie«, sagte Trush-Orbeek, »genau das sagten die Leute damals auch. Ãber Jacqui Kroll stand wieder etwas in den Zeitungen, und ich fürchte, dass es das war, was sie suchte. Eine unfassbar schöne Frau, aber was heiÃt das schon? Die Leute sehen nicht diese Frau. Sie sehen immer etwas, was sie in sich selbst vermuten. Und jeder sieht etwas anderes.«
»Das dürfen Sie nicht sagen«, widersprach Doña Francisca empört. »Sie ist Mutter, und für eine Mutter kommen die Kinder zuerst.«
»Oh, ganz im Gegenteil«, sagte Trush-Orbeek mit plötzlich unpassendem Nachdruck. Bisher hatten sie im Plauderton gesprochen. »Man muss es aussprechen, gnädige Frau. Erstens sind Mütter keine Heiligen, und zweitens ist Jacqui keine Mutter, wie ich sie mir vorstelle. Sie hüllt sich ein in dieses Wort und missbraucht es für niedere Zwecke. Sie braucht Hilfe, das kann Ihnen jeder bestätigen, der etwas davon versteht. Sie ist nicht fähig zu lieben. Unfähig, Wärme zu geben oder Halt. Der Junge wuchs ohne Orientierung auf, in einer Scheinwelt, die sich nicht fassen lässt. Keine Freunde weit und breit. Jacqui lieà niemanden an ihn heran.«
»Warum erzählen Sie uns das?«, fragte Hero Dyk.
»Weil es meine Tochter war, die sich um ihn kümmerte. Evelin hat sich Geld als Kindermädchen verdient, seit sie zwölf Jahre alt war oder dreizehn. Wir haben sie dazu ermutigt, verstehen Sie? Wir dachten uns nichts dabei. Simon muss damals sechs gewesen sein. Evelin war fast jeden Tag mit dem Jungen zusammen, und oft hat sie auch abends auf ihn aufgepasst, wenn die Mutter unterwegs war, um ihrem Geschäft nachzugehen.«
»Geschäft?«, fragte Svetlana. »Was für Geschäft?«
»Vergnügen!«, schnaubte Trush-Orbeek und echauffierte sich sichtlich. »Singen! Sie trat auf, wo immer man sie lieÃ. Sie ist wohl eine groÃe Künstlerin, und Geld hatte sie genug. Was ihr fehlte, waren Halt und Orientierung. Ihren Jungen hat sie vernachlässigt. Meine Tochter konnte kaum ertragen, was mit ihm geschah. Wie allein er war. Sie wissen, wie Mädchen in dem Alter sind. Sie können es nicht erwarten, jemandem ihr Herz zu schenken. Manchmal ist es ein Pferd, bei Evelin war es Simon. Sie war besessen von der Idee, den Jungen zu retten. Dass er vernachlässigt wurde, machte sie traurig, und wir konnten nichts dagegen tun.«
»Hat sie ihm helfen können?«
Trush-Orbeek dachte nach. »Das Problem ist die Mutter, denke ich. Damit fängt alles an. Aus der kleinen Jacqui Kroll ist eine Frau geworden, die keinen Sinn mehr macht. Egozentrisch und voller Lügen. Ihre äuÃere Schönheit führt in die Irre,
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