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Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall

Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall

Titel: Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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in die andere Stadt wollte, sich aber zwangsläufig entscheiden musste, wählte sie Bingen. Je länger sie in diese Richtung fuhr, umso unsicherer wurde sie aber. Schließlich legte sie eine kurze Rast auf einem Autobahnparkplatz ein und warf einen intensiven Blick in den Straßenatlas, der sie sehr schnell von ihrer gravierenden Fehlentscheidung überzeugte.
    Als sie einige Zeit später endlich die erste Ausfahrt mit dem Namen ihres Zielortes entdeckte, verließ sie nicht direkt die Autobahn, sondern setzte ihre Fahrt in der festen Überzeugung fort, dass, wie bei anderen Städten auch, zwangsläufig der ›Abfahrt Ost‹ die ›Abfahrt Mitte‹ folgen musste. Beim Anblick des großen blauen Schildes mit der leuchtendweißen Aufschrift ›Kaiserslautern-West‹ stellte sie allerdings verblüfft fest, dass dem aber hier augenscheinlich nicht so war. Hektisch wechselte sie in die Abbiegespur und folgte den Hinweisschildern in Richtung Centrum.
    Warum Centrum mit ›C‹ und nicht mit ›Z‹, fragte sie sich gerade, als sie plötzlich von einem mit einer Maschinenpistole bewaffneten amerikanischen Soldaten an der Weiterfahrt gehindert wurde. Völlig irritiert zückte sie ihren Dienstausweis und hielt ihn dem Wachtposten unter die Nase. Dieser ließ sich jedoch von dem dargebotenen Dokument in keinster Weise beeindrucken, sondern forderte sie in lauter, kurzer Kommandosprache zum unverzüglichen Verlassen der ›Military Area‹ auf. Verschüchtert blickte sie sich kurz um und konnte nur Wohngebäude, aber keine militärischen Einrichtungen erkennen. Obwohl sie zwei Fortbildungen in den USA absolviert hatte und sich deshalb in der englischen Sprache durchaus zu Hause wähnte, ignorierte der junge Soldat eine in seiner Muttersprache gestellte Frage nach dem Polizeipräsidium ebenso wie die vielleicht noch verwerflichere nach dem kürzesten Weg in die Innenstadt.
    Nach einer weiteren Irrfahrt zum Einsiedlerhof, der bestimmt deshalb so hieß, weil man dort anscheinend nur selten auf einen Einheimischen traf, gelang es ihr schließlich doch noch, sich und ihr Auto erfolgreich in Richtung Innenstadt in Bewegung zu setzen.
    Sie wusste nicht so recht, worüber sie sich mehr wundern sollte, über diese auffällige Dominanz der Amerikaner in der Stadt oder über die merkwürdige Trauerbeflaggung, die sie auf ihrer Fahrt in die Innenstadt in vielfältiger Weise registrierte. Da waren große Landesfahnen vor öffentlichen Gebäuden auf Halbmast gesetzt, Busse und LKWs, aber auch viele Privatautos hatte man mit schwarzem Trauerflor geschmückt. Sie hatte das Gefühl, diese bedrückende, traurige Atmosphäre, die hinter den Mauern dieser Stadt herrschte, körperlich zu spüren.
    Warum reagieren diese Menschen hier mit solch einer überwältigenden Anteilnahme auf diese Frauenmorde?
    Plötzlich entdeckte sie am Straßenrand einen Streifenwagen. Sie parkte direkt dahinter, verließ ihr Auto und begab sich auf die Suche nach den dazugehörigen Beamten. Diese standen an einer Imbissbude und verzehrten irgendwelche Fastfoodgerichte. Als sie ihren Dienstausweis erneut zückte, gewann sie zwar den Eindruck, dass ihr Anliegen diesmal inhaltlich verstanden wurde, die Reaktion allerdings unterschied sich nur marginal von der des Soldaten vorhin. Man ignorierte ihren Wunsch nach einer Eskortierung zum Polizeipräsidium zwar nicht gänzlich, jedoch waren die beiden Männer auch nicht bereit, ihre Mahlzeit deswegen zu unterbrechen oder gar vorzeitig zu beenden. Stattdessen wies man ihr mit wortarmen Gesten den Weg zum Präsidium, das sich anscheinend nur ein paar Straßenecken entfernt befand.
    Äußerlich total verschwitzt und innerlich ziemlich frustriert erreichte sie schließlich ihren Zielort, ein mächtiges Sandsteingebäude, das wie ein kleines Barockschloss über einer gepflegten Parkanlage thronte. Nachdem sie die leicht abgetretenen, rötlichen Stufen emporgestiegen war, öffnete sie die schwere Eichenholztür und betrat die wunderbar kühle Eingangshalle.
    Spontane, glaubwürdige Offenheit und Höflichkeit gegenüber Fremden schien nicht zur emotionalen Grundausstattung eines Pfälzers zu gehören, denn der Empfangsdame merkte man sehr deutlich an, dass die für ihre Servicetätigkeit erforderlichen zwischenmenschlichen Umgangsformen nicht ihrer ureigenen Persönlichkeit entsprangen, sondern dass sie sich diese, ihr anscheinend wesensfremden, Verhaltensmuster mühevoll bei Marketing-Workshops für den Öffentlichen Dienst antrainiert

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