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Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall

Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall

Titel: Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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müssen unbedingt aufpassen, dass wir uns nicht verzetteln. Deswegen fahren wir jetzt zu diesem Pilzexperten.«
    »Ich hab vorhin schon mit dem Mann telefoniert und unseren Besuch angekündigt«, sagte Schauß, während er seine kurze, schwarze Lederjacke, auf die er selbst bei hochsommerlichen Temperaturen nicht verzichten wollte, vom Besuchertisch zog.
     
    »Bleib noch einen Moment sitzen, ich muss das hier erst mal verdauen«, sagte Tannenberg, als die beiden Ermittler in der Spinozastraße angekommen waren. »Hast du dir so das Haus eines Pilzexperten, eines Naturliebhabers vorgestellt?«
    »Nein, ich bin auch ganz baff. Eigentlich hab ich mir so ziemlich genau das Gegenteil von dem vorgestellt, was ich jetzt hier sehe.«
    »Daran erkennt man aber mal wieder deutlich, wie sehr wir uns von Vorurteilen oder Konnotationen leiten lassen.«
    »Von was lassen wir uns leiten? Sprich doch bitte Deutsch mit deinem armen Untergebenen«, forderte Kommissar Schauß angesäuert.
    »Entschuldige. Dieses blöde Fremdwort hab ich mal bei meiner Schwägerin gehört. Die hat mich damit zeitweise unheimlich genervt. Und am allermeisten hat mich damals genervt, dass ich nicht wusste, was das Wort bedeutet.«
    »Und, was bedeutet es nun?«, fragte Schauß gelangweilt.
    »Ganz einfach: Konnotationen sind Bedeutungen, die wir mit einem Wort verbinden. Zum Beispiel fällt dir, wenn ich ›Friedhof‹ sage, sofort ein: Gräber, Trauer, Stille usw.«
    »Stimmt.«
    »Und so ist es bei vielen Sachen. Zum Beispiel auch beim Wort ›Pilzexperte‹. Als du vorhin im Kommissariat den Begriff verwendet hast, hast du garantiert nicht an Betonwände, Flachdach, Waschbetonmauer, Englischer Rasen, Aluminiumhaustür usw., sondern an andere Dinge gedacht, wahrscheinlich an einen Naturgarten mit Kräuterschnecke, Wildblumenwiese, Klappläden, Holzzaun, Gartenteich usw., richtig?«
    »Ja, stimmt genau!«
    »Siehst du. Und genau davor müssen wir uns in unserem Beruf hüten. Wir müssen uns immer und immer wieder dazu zwingen, unbefangen und ohne vorgefasste Meinungen an die Dinge heranzugehen.«
    »Wolf, weißt du eigentlich, dass du immer mehr wie unser alter Kriminalrat Weilacher redest?«
    »Ist das jetzt ein Vorwurf oder ein Kompliment?«, antwortete Tannenberg, während er läutete.
    Kurze Zeit später empfing sie ein Mann mittleren Alters, dessen Erscheinungsbild nun wieder ganz dem Bild eines verschrobenen Naturfreundes entsprach. Der Unterschied zwischen diesem Menschen und dem Ambiente, in dem er sich bewegte, konnte radikaler nicht sein. Die hypermoderne Innenarchitektur dieses Hauses mit seinen hellen, kalten Marmorböden, teuren Designermöbeln und abstrakten Wandgemälden stand in extremem Gegensatz zum Outfit des etwa 50-jährigen Mannes.
    »Ich weiß genau, was Sie jetzt denken!«, sagte plötzlich Müller-Clausen, nachdem die beiden Kripobeamten sich vorgestellt hatten.
    »Wieso?«, fragte Tannenberg verblüfft. »Was denken wir denn?«
    »Sie denken: Wie passt das zusammen, ein besessener Naturliebhaber und dann dieses tote, kalte Haus?«
    »Stimmt, das hab ich eben gerade gedacht«, gab Schauß ehrlich zu. »Können Sie etwa Gedanken lesen?«
    »Nein, natürlich nicht! Obwohl es in diesem sehr interessanten Bereich durchaus Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die uns Menschen mit unserem eingeschränkten Wahrnehmungsvermögen leider verschlossen bleiben. Das ist aber ein anderes Thema! Nein, ich kann leider keine Gedanken lesen. Aber ich hab eben so meine Erfahrungswerte. Jedes Mal, wenn mich einer meiner Naturfreunde zum ersten Mal hier besucht, stellt er irgendwann genau diese Frage: Wie hält es ein naturliebender Waldschrat wie du hier in diesem fürchterlich sterilen, kalten Haus aus? – Kommen Sie mal mit, ich zeig Ihnen jetzt mal mein Refugium, dann können Sie sich diese Frage wahrscheinlich selbst beantworten«, sagte der Pilzexperte zu den staunenden Kriminalbeamten und geleitete sie eine geflieste Kellertreppe hinunter.
    Müller-Clausen zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die massive Holztür über der eingraviert ›Hic habitat rara avis‹ zu lesen war.
    »Mein Latein ist nicht mehr so gut. Hier … wohnt …«, bat Tannenberg um Übersetzungshilfe.
    »Ein Kommissar mit Lateinkenntnissen! Respekt! Hier wohnt ein seltsamer Vogel, heißt das frei übersetzt.«
    Was die Ermittler nun sahen, verschlug ihnen endgültig die Sprache und überzeugte sie anschaulich vom Wahrheitsgehalt des eben gelesenen

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