Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
professionellen Lächeln kommandierte souverän und ungezwungen den Kameramann herum. Ihr Lächeln verschönte nicht nur ihr rundes kleines Gesicht, sondern warnte auch, daß seine Besitzerin eine Raubkatze war, vor der man sich in acht nehmen sollte. Der Kameramann war ein kleiner, kräftiger Kerl in Jeans und grünem Flanellhemd unter einer ärmellosen Weste mit zwanzig verschiedenen großen und kleinen Taschen. Nach dem Ende der Aufnahmen – der ganze schöpferische Prozeß dauerte nicht länger als eine halbe Stunde – gab Sergej Pawlowitsch der Fernsehjournalistin einen Umschlag. Im Gegenzug reichte sie ihm graziös ihre Visitenkarte.
    Die Fernsehleute fuhren ab. Der Arbeiter stand wieder gedankenverloren vor den abgesägten Beinen des Billardtisches, und Viktor erklärte Ljoscha, daß die Prothesen für Kinder bestimmt waren. Ljoscha zuckte nur mit den Schultern.
    [143] »Uns sind die schnurzpiepegal. Nehmt sie lieber wieder mit. Hauptsache, der Billardtisch hat die richtige Größe!«
    24
    Es blieben noch sechs Tage bis zur Wahl.
    Diesmal war Nina dran.
    »Guten Morgen«, sagte Viktor. »Wie geht’s?«
    »Endlich rufst du an!« erklang die vertraute Stimme, aber der betont herzliche Ton erstaunte Viktor. »Komm doch mal daheim vorbei! Sonja hat dauernd nach dir gefragt!«
    »Und wo ist sie?«
    »Sie spielt draußen mit der Kleinen von den Nachbarn.«
    »Gut, ich komme bald mal«, versprach Viktor und verabschiedete sich.
    Dann trank er einen Kaffee und versuchte zu verstehen, was Ninas neue Herzlichkeit bedeuten mochte. Vielleicht hatte sie Angst, daß er sie rauswarf?
    Der Chef war schon morgens mit Pascha irgendwo hingefahren. Die Putzfrau kam und begann die Böden zu schrubben. Dann tauchte ein Computerspezialist auf, den Pascha ihm schon angekündigt hatte. Der Mann sollte sich den Computer dieser › PR -Berater‹ ansehen. Viktor wies ihm den Weg ins Büro und kehrte in die Küche zurück. Die Einsamkeit und relative Stille gefiel ihm. Er freute sich, daß er an diesem Morgen von niemandem gebraucht wurde. Seine Gedanken wanderten wie von selbst zu dem nun schon mehrmals vor ihm erwähnten Gesetz der Schnecke. [144] Er empfand sich nun als gut geschützte Schnecke in den Wänden eines festen Hauses. Das Haus war natürlich zu groß, und einer kleinen Schnecke wie ihm mußte es darin eigentlich ungemütlich werden. Aber nein, ihm war gar nicht ungemütlich. Wunderbare Ruhe, Stille, Gelassenheit. Irgendwo da draußen kochte und brodelte die Welt noch für mindestens sechs Tage. Danach würde jede glückliche Schnecke ein neues Abgeordnetenhäuschen, und das hieß: Immunität, erhalten, während die, die kein Glück gehabt hatten, fliehen, heimfahren, sich verstecken und so tun mußten, als wäre nichts gewesen.
    Viktor stellte sich ans Küchenfenster und blickte in den verlassenen, kiesbestreuten Hof hinaus. Reifenspuren zogen sich durch den Kies, und vorn am Zaun schimmerten sorgfältig gestutzte Fliederbüsche. Der Himmel über dem Hof war wolkenlos. Vor dem Fenster stieß auf einmal eine kleine Schwalbe herab bis zum Boden und flog gleich wieder auf. Viktor wunderte sich – Schwalben flogen doch niedrig, wenn Regen bevorstand, aber hier roch es nicht mal entfernt nach Regen.
    Das Erscheinen des Computerspezialisten lenkte Viktor von der Schwalbe ab. Der hagere, etwa vierzigjährige Mann lief mitten in den Hof und zog eine Packung Zigaretten aus der Anzugtasche. Er steckte sich eine Zigarette an, rauchte einen Zug und sah sich nervös nach allen Seiten um. Dann zog er ein Handy heraus, zögerte eine ganze Weile und wählte eine Nummer. Viktor beobachtete den Mann genauer. Der erzählte jetzt dem am anderen Ende der Leitung etwas, und seine Lippen bewegten sich schnell, als ob er versuchte, ein Maximum an Wörtern in einen [145] kleinen Zeitraum zu packen, als wäre seine Zeit maximal begrenzt. Dann schwieg er und lauschte. Lauschte und nickte. Offenbar erteilte man ihm am anderen Ende wichtige Instruktionen. Schließlich steckte er das Handy wieder ein, warf die Zigarette auf den Kies, trat sie fest und ging zurück ins Haus.
    Viktors Gedanken wanderten wieder in die Natur. Auf der Mauer war eine Krähe gelandet. Schwalben waren keine mehr da. Hoch oben am Himmel flog, in der Sonne glitzernd, ein großes Passagierflugzeug. Viktors Blick ging fort in den Himmel und wollte von dort nicht mehr wiederkehren. Das Flugzeug flog nach Südosten, wenigstens kam es Viktor so vor. Spontaner Neid auf alle seine

Weitere Kostenlose Bücher