Pinguinwetter: Roman (German Edition)
alle geliebt wurden, nur der Ton war hier auf dem Land nun mal etwas rauer.
»Heute gibt’s Klöße und Sauerbraten«, erwähnte Melitta nebenbei, weil sie wusste, dass ich dann doppelten Einsatz zeigen würde. »Nicht diesen neumodischen Kram, Pizza oder was es da heutzutage alles gibt. Das kann doch keiner essen.«
Ich hatte ihr einmal fast bis zur Verzweiflung erklären wollen, was Sushi war, aber Melitta hatte es nicht verstanden.
»Ohne Soße? Und roh? Das schmeckt doch nicht! Nein, das ess ich nicht. Und kalt? Das ist doch Verarschung.«
So war sie halt, die Oma Melitta. Aber ich liebte sie wegen ihres eigenwilligen Charakters vielleicht sogar noch mehr, als wenn sie eine völlig normale Oma gewesen wäre.
Ich wusste noch ganz genau, wie ich meinen Exfreund Rolf das erste Mal mit hierhergebracht hatte. Ich hatte ihn vorher tagelang bearbeitet und versucht, ihn auf den Kulturschock vorzubereiten.
Der erste und mit Sicherheit auch nie vergessene Satz, den Melitta Rolf zur Begrüßung entgegengeworfen hatte, war: »Benutzt ihr Kondome? Benutzt bloß welche!« Unvergessen war auch das hinterhergeschobene: »Kriegt bloß keine Kinder! Bälger sind zu teuer heutzutage, die fressen dir die Haare vom Kopf!«
Rolf war aber hartgesotten und zudem vorbereitet gewesen, sodass er damals gelassen antworten konnte, dass er noch nicht vorhabe, Kinder zu bekommen, schließlich studiere er ja noch. Ergo wäre er als Ehemann für mich – nach Melittas Urteil – sowieso nicht infrage gekommen, so ohne festen Job. Arbeit, das war ihr das Wichtigste überhaupt.
Jeder Außenstehende wäre wohl an ihr verzweifelt, aber meine Mutter und Marlene hatten uns Kindern immer wieder eingeimpft, dass der Krieg sie so hart gemacht habe und sie im Grunde nichts dafür könne.
Oft hatte ich beim Essen die Geschichte gehört, wie meine Oma und ihre elf Geschwister damals, bevor sie aufs Land gekommen waren, nichts als Kartoffelschalen zu essen gehabt hatten. Deswegen wollte Melitta nie wieder Hunger leiden und kaufte jede Woche Fleisch und Wurst für eine Hundertschaft ein.
Auch Rolf wurde damals gemästet, und selbst wenn er nur einen Fitzel auf seinem Teller übrig gelassen hatte, hatte Melitta ihm das krummgenommen.
»Schmeckt dir mein Essen nicht? Sag es ruhig, wenn es dir nicht schmeckt!«, hatte sie ihn damals angebrüllt.
Tapfer hatte sich Rolf mit Antworten wie: »Doch, es schmeckt köstlich! Aber ich hatte schon zwei Portionen, und ich kann nicht mehr!«, oder im fortgeschrittenen Stadium: »Nein, nein, das esse ich später noch auf!«, verteidigt, aber ohne jeden Erfolg.
Eines Tages, als Melitta ihn wieder einmal angeschrien hatte, warum er denn nicht aufäße (diesmal sogar nach der bereits dritten Portion), hatte Rolf trocken geantwortet: »Es schmeckt mir einfach nicht«, nur um seine Ruhe zu haben.
Die gesamte anwesende Familie war zu Eissäulen erstarrt und hatte ein Donnerwetter erwartet.
Melittas simple Antwort darauf war jedoch gewesen: »Dann sag das doch, Junge.«
Ab diesem Zeitpunkt waren die beiden die besten Freunde gewesen.
»Was ist mit dir? Warum trödelst du?«, ermahnte mich Melitta. »Deine Tante hat mir gesagt, dass du nichts Neues in Aussicht hast. Das geht aber nicht, Kind. Du brauchst dringend Arbeit. Der alte Walter aus dem Dorf braucht noch jemanden, der ihm die Bücher für den Blumenladen auf Vordermann bringt. Da kannst du nachfragen.«
»Oma, ich wohne in Köln. Und außerdem bin ich Lektorin. Ich habe keine Ahnung von Buchhaltung.«
»Ach, Lektorin ist auch so ein neumodischer Kram. Buch ist Buch. Da kannst du sicher auch deine Emils schreiben.«
Ich seufzte. »Ach Oma! Danke, ich weiß deinen Rat zu schätzen, aber ich suche was anderes. Was genau, das muss ich allerdings noch rausfinden.«
»Ach, biste jetzt auch auf so einem Selbstfindungstrip wie deine Mutter?«, motzte sie mich an.
Was für wilde Wörter sie kennt. Selbstfindungstrip. Auch neumodisch.
Später aß ich aus lauter Frust vier große Klöße mit Soße und Fleisch und konnte mich danach kaum bewegen.
Das Einzige, was ich noch tun konnte, war, meine Nachrichten auf dem Handy abzuhören. Die meisten Anrufe wurden direkt auf die Mailbox umgeleitet, da es hier im Outback kaum Empfang gab.
Trine hatte eine Nachricht hinterlassen, dass sie ihre Lieblingspatentante und Babysitterin vermisse und Finn ständig irgendwas über »Schmalland« erzähle, ob ich wisse, was er damit meine.
Mein schlechtes Gewissen meldete sich
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