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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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früher in seine Gefriertruhe zurückzuschicken: eiskalt, unwiderruflich.
    18:59
    Die Windschutzscheibe der S-Klasse beschlug von innen. In den Ecken bildeten sich Kondensamöben, die langsam in die Höhe wuchsen.
    Frankenstein unterdrückte ein Niesen und suchte in seiner raschelnden Jacke herum, bis er eine Packung Taschentücher gefunden hatte.
    Brendel klopfte im Takt des Sekundenzeigers mit dem Mittelfinger auf den Schaltknüppel, lehnte den Kopf an die Nackenstütze, ließ ihn auf die Brust sinken.
    Frankenstein schnäuzte sich so zurückhaltend wie möglich.
    19:00
    Wie hättest du dich entschieden, Ernst, wenn du das alles gewusst hättest, wenn du das alles überlebt hättest, dachte Wegener und betrachtete Thälmanns versteinertes Gesicht, das plötzlich gar nicht mehr hart und heldenhaft aussah, sondern traurig, unsicher, todmüde. Dein Kopfschuss hat dich vor der Wahrheit gerettet, hat dich im Legendenstatus plastiniert, als endlos haltbare Kommunistenkonserve, also sei froh, dass dir die späteren Enttäuschungen erspart blieben, dass du nicht mehr gezwungen warst, zwischen Macht und Machbarkeit zu wählen, alle anderen sind darüber gestürzt, die Gelegenheit hat man dir nicht mehr gegeben, Teddy. Bedank dich und herzlichen Glückwunsch, bis heute bist du von den ganzen Falschen der Richtigste.
    Aus der Dunkelheit des Bronzehinterkopfs löste sich ein Schatten.
    Hockte sich hin.
    Stützte sich auf und sprang.
    Für einen Moment kam es Wegener vor, als steige Thälmann in Normalgröße aus seinem eigenen Schädel heraus, vom Sockel herunter, zermürbt durch die andauernde Glorifizierung einer Haltung, die längst nicht mehr seine war, die ihm mit jedem Jahr sturer Himmelstarrerei fremder wurde. Ein paar Jahrzehnte nachdenken konnte ganz guttun, man macht so seine Beobachtungen, wegsehen geht ja schlecht, wenn einem der Bronzekünstler Kerbel derart penetrant die Augen öffnet.
    Der Schatten stand jetzt bewegungslos in der Mitte der Freifläche, ein Gnom vor einem geköpften Riesen. Sonst niemand.
    Frankenstein war eine Sekunde schneller, seine Hand drückte schon die Beifahrertür auf, als Wegener noch staunte, wo der schwarze Phobos Datscha herkam. Wie aus dem Nichts scheuerte er plötzlich von rechts über die Betonbrache, spuckte zwei Männer aus, die sofort losrannten, dem lahmenden Schatten hinterher, der Richtung Park lief und in einer Dunkelheit verschwand, die schon keine mehr war: Ein zweites Sechsaugengesicht blendete auf, ließ verschwommene Silhouetten im weißen Scheinwerfernebel tanzen, ein stolpernder Männerreigen, der aneinander zerrte, der sich jetzt fest im Griff hatte und schließlich zuckend, angespannt, gebückt in den beiden Wagen verschwand.
    Brendel fluchte, startete den Motor, Frankenstein zog die Beifahrertür zu, Thälmann hatte immer noch die Nacht im Blick, ignorierte das Reifenquietschen, sah nicht, wie die beiden schwarzen Jeeps hintereinander über den Vorplatz flogen, wie sie die erhöhte Bordsteinkante mit kleinen Sprüngen nahmen, auf die Greifswalder Straße krachten und schleudernd Gas gaben, wie die S-Klasse losdröhnte, wie ihre Xenon-Flutlichter die Datschas bläulich-grell an den lackierten Hinterteilen packten, wie Brendel beschleunigte, dass es alle in die Sitze drückte, um sie herum Huperei, schlingernde Phenoplastschachteln, die Tachonadel stand schon bei 70 und stieg weiter, Brendel bretterte über die Mittelspur, als säße er in einem Panzer, hielt das Lederlenkrad mit beiden Händen fest, die rechte Hand rutschte ab, riss den vierten Gang rein, war wieder am Steuer, Brendels Augen im Rückspiegel von hinten angestrahlt, für eine halbe Sekunde vom Licht erwischt, in der sein Blau entschlossen aufleuchtete, berechnend, kalkulierend, als hätte er all das hier vorausgesehen.
    »Unsere Verfolger von eben. Sie sind wieder da.«
    Wegener drehte sich um, zwei Wagen drängelten sich durch den verstörten Verkehr, ein roter Phobos, ein weißer Universal, wechselten Spuren, zogen an bremsenden Autos vorbei, Wegener drehte sich wieder nach vorn, die Datschas waren größer geworden, Brendel holte auf, an beiden Jeeps keine Kennzeichen, getönte Scheiben, zwei Auspuffrohre, hochgerüstete Modelle, die den Mercedes mit einer stinkenden Dieselgemischwolke einnebelten, Frankenstein fummelte am Schaltpult der Mittelkonsole herum, bis er die Lüftung ausgestellt hatte.
    »Wegfahren können sie nicht«, sagte Brendel durch die Zähne.
    Frankenstein sah ihn

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