Plattenbaugefühle: Jugendroman
lege ich mich neben ihn aufs Bett, achte dabei, ihm nicht zu nahe zu kommen.
»Ist was?« frage ich, als er mich merkwürdig anschaut.
»Bionade?« sagte er lächelnd und zeigt auf das Tablett.
»Ach, meine Mutter steht auf solche Sachen.«
»Und was ist das?« Er betrachtet die ›Knabbereien‹, getrocknete Apfel- und Bananen-Chips aus dem Bioladen.
»Kennst du sowas nicht?« frage ich verblüfft.
Er nimmt einen Chip in die Hand und betrachtet ihn eingehend.
»Probier doch! Ist alles gesund. Bio eben!« sage ich und greife mir einen Apfelchip.
Er lacht. Lacht er mich aus? »In welcher Welt lebst du, Jonas?« sagt er und schüttelt den Kopf.
Jetzt denkt er bestimmt: typisch Deutsch, oder so etwas.
»Und in welcher Welt lebst du?« traue ich mich etwas beleidigt zurückzuschießen.
Als ob er die Frage gar nicht gehört hat, schaut er mich wieder seltsam an. Was ist denn jetzt?
»Was soll das sein?«. Er nimmt Wuffi in seine Hände.
»Ein Hund!«
Lacht er jetzt ironisch? Ich schäme mich, nehme ihm Wuffi aus den Händen und schmeiße das Stofftier in die andere Ecke des Zimmers. Ich fühle mich wie eine treulose Tomate – habe meinen besten Freund verraten.
»FIFA 2008«, sagt er und zeigt mir das Cover des Spiels.
»Erkläre es mir!« Schon wieder Fußball! Oh mein Gott, wird mich das jetzt die ganze Zeit verfolgen? Das ist seine Welt, nicht meine. Er entscheidet und macht sich keine Gedanken, was mir gefallen könnte.
Er drückt mir ein Gerät in die Hand, »mit dem musst du steuern und drücken«, sagt er, und ich bin damit völlig überfordert. Als das Spiel beginnt, geht alles voll daneben. Er hat kaum Mühe, mich zu umdribbeln, gefühlte hundert Tore gegen mich zu schießen, worüber er sich total freut, »ich mach dich platt«, ruft er ganz aufgeregt, »Tor!« schreit er mal wieder und als er genug hat, schaut er mich wieder merkwürdig an.
»Jonas, Jonas, in welcher Welt lebst du eigentlich?«
»Afyon, Afyon! In welcher Welt lebst du?« Ich versuche zu kontern, äffe ihn nach, obwohl ich es nicht verstehe, was ständig dieser Satz zu bedeuten hat. Er muss dabei grinsen. Rückt näher. Mir wird ganz warm. Ich kann seinen Atem spüren. Körper an Körper.
Er legt seinen Controller – wie er dieses Gerät nennt – weg. Seine linke Hand stützt sich auf meinen Controller, er legt die andere Hand auf meine – ich kann seinen Puls spüren – er nimmt ganz sanft meinen Zeigefinger, »runterdrücken« flüstert er mir ins Ohr, er drückt den Finger auf einen Knopf, »wenn du einen Pass machen möchtest, musst du diesen Schalter bewegen« – ich bewege mich wie in Trance – »wenn du nach rechts rennen möchtest« – ich höre den Klang seiner Stimme, ich möchte nirgendwohin rennen, ich möchte hier bei dir sein, denke ich, ganz nah, er riecht so gut, seine Hände sind so weich. Noch nie hat mich ein anderer Junge so berührt. Seine Nähe macht mich nervös, ich fühle mich erregt, sein Hals vor meinen Augen, seine Adern pochen – ich fühle mich an ›Interview mit einem Vampir‹ mit Brad Pitt erinnert, soll ich ihn beißen? – er braucht nur seinen Kopf leicht in meine Richtung zu bewegen, es würde passieren, Lippen berühren, küssen …
»Verstanden?« Er rückt lächelnd ab.
Ich nicke, ich spiele, ich lächele ihn immer wieder an – Fußball ist nicht mein Ding.
»Konzentrier dich aufs Spiel!« – Er muss mich total bekloppt finden – »Was schaust du so?«
»Nur so!«
Meine Augen funkeln, seine Augen funkeln, unsere Augen funkeln. Geil!
»Lass uns Wrestling spielen.« Ein unendlicher langer Blick von ihm – möchte er jetzt mit mir raufen?
Er holt aus seiner Tasche ein anderes Spiel, legt es in die Playstation ein, rückt mir wieder näher, versucht es mir zu erklären – meine Logik ist abgeschaltet – sein ständiges Genuschel macht mich verrückt, die Hälfte der Worte verschluckt er: »In welcher Welt lebst du eigentlich, Jonas?«
Er gewinnt auch dieses Spiel, seine Worte haben einen süßen Klang, ein Kind, das spielen möchte, ich mag ihn immer mehr. Ich mag, wie er die Bionadeflasche an seine Lippen ansetzt, wie er einen Schluck nimmt, wie er dabei gluckert.
»Ich mache dich bei allem platt, Jonas!«
»Bei allem?«
»Ja!«
Ich würde gerne über ihn herfallen, ihm klar machen, dass ich in einigen Dingen ihm ebenbürtig oder sogar überlegen bin.
»Ich mache dich bei allem fertig, auch beim Kämpfen.«
Afyon lässt nicht locker. Er sucht die Provokation
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