Plattenbaugefühle: Jugendroman
Tür.
»Okayyy.«
Aris schmunzelt. Ich bin verwirrt und überrascht zugleich.
Wir laufen zur Halle hinüber, ich betrachte ihn aus der Nähe. Burgunderrot. Die Farbe der Kappe und der Schuhe taucht wieder im Oberteil auf, einem Sweater von Nike, genau wie in der kurzen Hose – alles passt zusammen. Er legt auf Klamotten genauso viel Wert wie ich, nur dass er einen sportlicheren Stil hat.
Aris zieht sich die Sportschuhe an, Afyon jongliert den Ball ungefähr hundert Mal auf seinem Fuß.
»Du magst Fußball auch nicht so gerne!« ätze ich dem Sozialarbeiter zu.
Er zuckt mit den Schultern.
»Zieh besser deine Straßenschuhe aus, es ist nicht erlaubt in der Halle«, zwinkert er mir verschwörerisch zu.
Na, super! Schon wieder eine Premiere für mich: Etwas zu tun, woran ich in Berlin nicht im Traum gedacht hätte. Ohne Schuhe Fußball spielen. Toll.
›Tor zu Tor‹ heißt das Spiel. Jeder kriegt eine Hälfte, in der er sich bewegen darf. Das Ziel ist, das Tor des Gegners zu treffen. Wer drei Tore geschossen hat, gewinnt. Ich verliere, da ich nicht besonders gut schießen kann. Aris geht es nicht viel besser. Einzig Afyon triumphiert und freut sich wie ein kleines Kind, niedlich wie immer. Ein Kind mit leicht behaarten Beinen. Und so wenig souverän, im Gegensatz zu Danny oder Fabi. Eher wie ich, »gleich und gleich gesellt sich gern«, sagte Omama, oder »Gegensätze ziehen sich an«. Irgendwie scheint beides auf uns zuzutreffen.
Was uns definitiv nicht verbindet, sind seine Lieblingsspiele: Bereits dieses ›Tor zu Tor‹ fand ich sehr langweilig; das nächste Spiel ist noch beknackter. Einer ist im Tor, und die anderen beiden versuchen einen Gymnastikball hinein zu kriegen, was kaum möglich ist, weil der viel zu groß ist und zu langsam fliegt, als dass man ihn am Torhüter vorbeikriegen könnte. Irgendwann beginnen wir, uns gegenseitig abzuschießen. Wir jagen uns durch die ganze Halle. Auf ein Mal macht es einen Riesenspaß. Wir fangen an, uns dabei zu balgen. Wie beim Wrestling liege ich irgendwann auf Afyon. Er lacht. Ich möchte ihn am liebsten küssen. Er spürt es und zischt mich an: »Geh von mir runter!«
Doch seine Augen sagen etwas anderes, sie scheinen mich zärtlich anzuschauen, so weich – da passt diese zischende Aufforderung von ihm überhaupt nicht. Afyon steht auf Jungs, genau wie ich!
»Ok, die Zeit ist um!« Aris steht neben uns. »Gleich kommt die Tanzgruppe, lasst uns gehen.«
Wir stehen beide auf, folgen schweigend dem Sozialarbeiter nach draußen. Ich kann mich nicht irren. Afyon steht auf mich.
Wir haben den gleichen Nachhauseweg.
»Was machst du heute Abend?« Erneut wage ich, ihn nach einem Date zu fragen.
»Nichts!«
»Komm doch bei mir vorbei.« Wird er meine schüchterne Einladung annehmen?
»Ich bringe meine Playstation mit.« antwortet Afyon.
Ich glaub es nicht! Hat er soeben zugestimmt? Bin ich rot angelaufen?
»Bis später!« sagt er und blickt Richtung Plattenbauten.
»Um 18 Uhr!« ruf ich hinterher. »Ist es ok?«
»Klar!« sagt er und hebt die Hand hoch.
»Meine Adresse ist …«
»Du wohnst im K6! Im ersten der roten Häuser. Ich weiß!«.
Er hat sich noch nicht mal nach mir umgedreht. Erstaunt sehe ich zu, wie er von den Silhouetten der Häuser verschlungen wird. Erstaunt und überglücklich. Ich hüpfe, ich springe, lache und spinne. Oh wie krass! Hey! Wieso weiß er, wo ich wohne?
»Ich glaube, ich bin verliebt!«
»In wen?«
»In einen Jungen!«
»Echt?« Fabians Stimme klingt irritiert. »Also bist du … schwul?«
»Ich wusste es doch!« Danny lacht sich kaputt.
»Es ist okay, es ist wirklich okay!« rufe ich am Hörer, erzähle von ›Die Mitte der Welt‹, von meinem Vater, der sich beruhigt hat, vom Fußballspielen, von meiner Mutter, von …
»Was für eine Mitte der Welt?« Fabian versteht nur Bahnhof.
»Der Roman, über diesen schwulen Jungen Phil, wir werden Playstastion spielen, er kommt um sechs, stell dir vor, er kennt meine Adresse, was soll ich bloß anziehen? Wie spät ist es?«
»Jonas! Jonas!« Fabi versucht mich zu beruhigen.
»Jonas! Geht es dir gut? Soll ich vorbei kommen?« Danny erkennt mich nicht wieder.
»Du spielst Fußball?« Fabi glaubt sich verhört zu haben. Ich stelle mir vor, wie er amüsiert die Augenbrauen hochzieht.
»Ich habe ein Date! Ich habe ein Date!« schreie ich immer wieder und kann den Gedanken kaum fassen. Mein erstes Date mit dem Jungen meiner Träume!
»Und jetzt?« Fabi will alles genau
Weitere Kostenlose Bücher