Plötzlich Fee Bd. 3 Herbstnacht
gerissene Kater noch irgendwo lauschte – sehr leise hinzu: »Danke.«
Zitternd stand ich in dem heißen Wind und vermisste ihn bereits. Wie viele würde ich wohl noch verlieren, bevor das hier vorbei war? Irgendwo da draußen – näher als je zuvor – marschierte der falsche König auf die Armeen von Sommer und Winter zu. Morgen würde die Stunde der Wahrheit kommen. Morgen war der Jüngste Tag, an dem wir entweder siegen oder sterben würden.
Auf einmal wünschte ich mir, ich könnte mit meiner Familie sprechen. Ich wollte noch einmal Moms Gesicht sehen und Ethan in den Arm nehmen und ihm ein letztes Mal durch die Haare wuscheln. Sogar Luke wollte ich sehen, um ihm zu sagen, dass ich ihm verzieh, dass er mich nie bemerkt hatte, mich nie gesehen hatte. Mom war glücklich mit ihm, und wenn sie ihm nicht begegnet wäre, hätte ich nicht Ethan als Bruder. Ich hätte keine Familie. Mir schnürte es die Kehle zu und die Sehnsucht drückte wie ein schmerzhafter Knoten in meinem Bauch. Würden sie mich vermissen, falls ich nie wieder nach Hause zurückkam? Würden sie irgendwann aufhören, nach mir zu suchen, nach der Tochter, die eines Nachts verschwand und nie zurückkehrte?
Der Wind fuhr mit einem einsamen, trostlosen Heulen über die Ebene, während eine überraschende Erkenntnis mit eisigen Fingern nach meinem Herzen griff. Ich könnte morgen sterben. Es herrschte Krieg und es würde auf beiden Seiten zahlreiche Opfer geben. Der falsche König könnte zu stark für mich sein, selbst wenn ich einen Weg fand, in seine Festung einzudringen. Wir konnten genauso gut verlieren. Ich könnte erschlagen werden, und dann würde meine Familie niemals wissen, was passiert war oder wofür ich gekämpft hatte. Wenn ich starb, wer würde es ihnen überhaupt sagen? Oberon? Nein, wenn ich verlor, würde er ebenfalls schwinden. Wenn ich verlor, wäre alles vorbei. Es wäre das Ende des Feenreiches. Für immer.
Oh Gott.
Ich zitterte jetzt völlig unkontrolliert. Das war es also. Die letzte Schlacht, und alle Hoffnungen ruhten auf mir. Was, wenn ich versagte?
Wenn ich den falschen König nicht schlagen konnte, würden alle sterben – Oberon, Grim, Puck, Ash …
Ash .
Zitternd rannte ich zurück ins Lager, vorbei an den Zelten, die rund um den See standen. Hier war alles dunkel und still, ganz anders als das wilde Gelage, das vor der Schlacht in den Lagern von Sommer und Winter stattgefunden hatte. Plötzlich verstand ich seine Bedeutung und hätte diese Ablenkung heute Nacht furchtbar gern genossen. Zu viele finstere Gedanken wirbelten in meinem Kopf herum, so viele Emotionen, dass ich das Gefühl hatte, gleich platzen zu müssen. Doch trotz allem, was ich empfand, und trotz aller chaotischen Gefühle lief alles immer wieder auf ihn hinaus.
Ich fand sein Zelt am Rand des Lagers, ein Stück entfernt von den anderen. Ich hatte keine Ahnung, woher ich wusste, dass es seines war – im Prinzip sahen die Zelte alle gleich aus. Aber ich konnte ihn spüren, so deutlich wie meinen eigenen Herzschlag. Am Eingang zögerte ich, die Hand schon erhoben, um die Klappe zurückzuschlagen. Was sollte ich ihm sagen, in der vielleicht letzten Nacht unseres Lebens?
Schließlich nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, schlug die Zeltklappe zurück und ging hinein.
Ash lag in einer Ecke auf dem Rücken. Er hatte einen Arm über das Gesicht gelegt und atmete tief und gleichmäßig. Sein Oberkörper war nackt und das Amulett, das inzwischen fast völlig schwarz war, glänzte wie ein Tropfen Tinte auf der blassen Haut seiner durchtrainierten Brust. Ich war überrascht, dass er nicht gehört hatte, wie ich reingekommen war. Normalerweise wäre Ash innerhalb eines Wimpernschlags mit gezogenem Schwert auf den Beinen gewesen. Unser Marsch durch die Tunnel musste ihn völlig ausgelaugt haben.
Ich kostete diesen Moment aus, musterte ihn, bewunderte die schlanken, kräftigen Muskeln und sah mir die Narben an, die sich über seine bleiche Haut zogen. Seine Brust hob und senkte sich bei jedem leisen Atemzug, und ihm einfach nur beim Schlafen zuzusehen, sorgte schon dafür, dass ich etwas ruhiger wurde.
»Wie lange willst du mich noch anstarren?«
Ich zuckte zusammen. Er hatte sich nicht gerührt, aber ein Mundwinkel hatte sich zu einem schiefen Grinsen verzogen. »Wie lange weißt du schon, dass ich hier bin?«
»Ich habe dich in dem Moment gespürt, als du zum Zelt gekommen und dann draußen stehen geblieben bist und dich gefragt hast, ob du wirklich
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