Ploetzlich Mensch
bemerkte.
Zum Glück war die Treppe nach unten nicht zerstört worden. Dean warf noch einen letzten Blick auf das verwüstete Treppenhaus. Dann wandte er sich um und verließ das Gebäude durch die zerstörte Ei n gangstür. In der Ferne hörte er Sirenengeheul. Es wurde Zeit, dass sie von hier verschwanden.
Sein schwarzer Sportwagen stand unbeschadet in der Einfahrt. Er setzte Clara auf den Beifahrersitz, warf die Tasche auf die Rückbank und startete den Motor.
Er hatte kein konkretes Ziel vor Augen, aber er war sich im Klaren darüber, dass sie auf dem schnellsten Weg die Stadt verlassen mussten. Fürs Erste wollte er so viel Distanz wie möglich zwischen sich und di e se verdammten Bastarde vom Tempel des Lichts bringen. Er lenkte das Auto auf die nächste Autobahn Richtung Süden und gab Gas.
*
Clara wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte. Als sie die Augen wieder aufschlug, fand sie sich auf dem Beifahrersitz eines Autos wi e der. Es dauerte, bis sie die Benommenheit des Schlafes abgeschüttelt hatte, doch dann kehrten die Erinnerungen an das Geschehene mit grausamer Härte zurück.
Das Blut, die Schreie, die Wut. Übelkeit stieg in ihrer Kehle auf. Sie gab einen erstickten Laut von sich, der Dean, der auf dem Fahrersitz neben ihr saß, aufschrecken ließ. Das Seitenfenster öffnete sich, sodass sie gerade noch rechtzeitig den Kopf hinausstrecken konnte, bevor sie sich übergab.
Die kühle Luft des Fahrtwinds beruhigte ihren zitternden Körper. Zurück blieb ein bitterer Geschmack in ihrem Mund. Benommen sank sie zurück auf ihren Sitz.
„ Alles okay?“ Dean sah mit besorgtem Blick in ihre Richtung. Sie nickte matt. Nichts war okay. Sie hatte in den letzten beiden Tagen vier Lebewesen mit ihren Händen getötet. Sie war eine Mörderin. Eine ve r dammte, elende Mörderin.
„ Du musst keine Angst mehr haben. Wir sind raus aus der Stadt. Die Kinder des Lichts können dir nichts mehr anhaben“, versicherte Dean in beruhigendem Tonfall.
Sie schnaufte verächtlich. „Ja, weil ich sie getötet habe. Ich hab sie eiskalt umgebracht. Mit diesen Händen! Ich habe ihre Leiber zerrissen wie ein Stück Papier. Gott! Diese Kraft, diese furchtbare, lodernde Kraft.“ Sie begann erneut zu zittern.
Einen Moment lang herrschte Stille im Auto. Schließlich war es D e an, der zögernd wieder zu sprechen begann.
„ Du … du hast mir das Leben gerettet. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte dieser Stierkopf mich zu Brei geschlagen.“ Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Machte das den Mord an so vielen wieder gut? Wohl kaum.
Wieder kehrte Schweigen ein. Nur das monotone Rauschen der Re i fen, die sich über den Asphalt bewegten, war zu hören.
„ Wohin fahren wir?“
„ Ich hab keine Ahnung“, erwiderte Dean frei heraus. „Eigentlich ist es völlig egal, solange wir nur genug Abstand zwischen uns und die Stadt bringen. Hast du einen Wunsch? Vielleicht das Meer?“
Sie schüttelte den Kopf, während ihr Blick aus dem Fenster hinaus auf die vorbeirauschende Landschaft glitt. Nein, es gab keinen Ort, an den sie gehen wollte. Hier draußen gab es nichts mehr, das sie Heimat hätte nennen können.
„ Also keine Wünsche. Na mal schauen, wohin uns der Wind weht. Ich schlage vor, wir suchen uns erst einmal einen abgelegenen Ort, an dem wir uns das Blut abwaschen können“, sagte Dean mit einem flüchtigen Blick in ihre Richtung.
Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass der Stoff seines Hemdes fast vol l ständig in einem Rotton gefärbt war, der sich langsam ins Bräunliche verwandelte. An seiner Schulter klaffte ein großes Loch im Gewebe, durch das man einen Teil seines Oberkörpers sehen konnte. Ihre eig e ne Kleidung war überraschenderweise von größeren Flecken verschont geblieben. Lediglich ihre Arme waren bis zu den Ellbogen von einer dunkelroten Kruste bedeckt.
Dieser Anblick traf sie wie ein Schlag und ließ erneut die grausamen Bilder und verzweifelten Schmerzensschreie in ihrem Kopf auffl a ckern. Sämtliches Blut schien aus ihrem Kopf zu fließen. Ihr wurde kalt und übel.
„ Hey, hey, keine Panik, Clara! Es ist alles gut. Niemand kann dir hier etwas anhaben.“ Deans warme Hand legte sich sanft auf ihre Schulter. „Ich kenne einen netten, kleinen See hier in der Nähe. Dort können wir uns waschen, ohne dass jemand dumme Fragen stellt. Okay?“
Sie nickte matt, erstaunt darüber, welch beruhigende Wirkung seine Worte auf sie hatten. Er war so freundlich zu ihr, obwohl
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