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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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mit einem gelben Stern gekennzeichnet in der Öffentlichkeit zu bewegen. Worauf Yves zurücktelegrafierte, er habe keine Juden, siehe Formular vom 6. Dezember 1941.
    Der Winter war noch härter als der vorhergehende. Die Deutschen beschlagnahmten überall Brennholz, stellten das Unterschlagen von Brennmaterial unter Strafe, und selbst der Pfarrer konnte sie nur mit Müh und Not davon abbringen, die Kirchenbänke als brennbare Stoffe zu deklarieren.
    Durch Schnee und Glätte waren die Straßen schlecht befahrbar, und so sah man außer den Wachablösungen für die am Grenzübergang von Goumois diensttuenden Soldaten den ganzen Winter über fast keine deutschen Wehrmänner.
    Yves nutzte die Zeit und baute seinen Keller unter dem Schein von Karbidlampen aus. Es war wahrscheinlich der wärmste Platz in ganz Charmauvillers.
    Auf der anderen Seite des Doubs wurden Heizferien ausgerufen, und die Lehrer organisierten Skilager. Die Schulkinder wurden zusammengezogen und in die Berge zum Skifahren geschickt. Das sparte nicht nur Brennmaterial, sondern diente längerfristig auch der Landesverteidigung. Darum wurden die Skilager von General Guisan, dem höchsten Schweizer Militär, persönlich gefördert, denn Skifahren ertüchtige den Körper, schule Geschick und Gleichgewicht und sei somit eine wichtige Grundlage zur Verteidigung der Heimat.
    Breiter versorgte derweil seine Kühe, kaufte für sich und Pierre auf dem Schwarzmarkt Kohle und Briketts, hörte immer mal wieder den Funk ab, in dem sich aber nichts tat und lauschte Freitag für Freitag, wie von Yves geheißen, Radio Londres.
    „Ici Londres! Les Français parlent aux Français …“ war nach dumpfen Paukenschlägen, sinnigerweise den Eingangstakten von Beethovens 5. Symphonie, zu hören. Danach folgten Berichte über das Kriegsgeschehen, Musik, Sketche, oft pathetische Appelle an den Stolz und die Widerstandskraft der Franzosen sowie die messages personnels: „Louis a trois cochons“, „Grand-Mère mange nos bonbons“, „Jacques a une cigarette pour deux“ oder „Elle restera sur le dos“.
    Warum er dies hören sollte, war ihm unklar, schließlich war er kein Franzose und sein Wehrwille war von Nazideutschland bereits ein für allemal gebrochen. Und zudem empfand er die ruhig und sachlich vorgetragene Weltchronik von Jean Rudolf von Salis um einiges glaubwürdiger als die Durchhalteparolen eines selbsternannten französischen Generals im Exil.
    Breiter kümmerte sich lieber um seine Kühe, entschloss sich im April dazu, sich ein paar Hühner zuzulegen, dazu ein paar Kaninchen, wurde melancholisch, wenn er an Elsie dachte, wusste seine Erinnerungen an und die Gefühle für Charlotte nicht einzuordnen, fragte sich, ob er mit der Serviertochter in Noirmont etwas anfangen sollte, verwarf den Gedanken wieder und beschloss, einfach den Frühling abzuwarten.
    Im Frühling 1942 erfuhr Yves auf unsanfte Weise, dass es nicht nur eine Wehrmacht, sondern auch eine SS und eine Gestapo gab. Zwei Gestapo-Männer überraschten ihn auf der Mairie und gingen vor seinen Augen das Personenregister durch, schrieben jeden Namen auf, hinter dem nicht katholisch oder reformiert stand, danach musste er sie zu jedem dieser Einwohner begleiten, und die jeweiligen Personen wurden ausführlich nach ihrer Konfession und ihrem Stammbaum befragt. Das ging den ganzen Tag so, und am Abend verabschiedeten sie sich mit der Warnung, dass er, falls sich in seiner Gemeinde doch noch ein Jude fände, gleich mit auf die Reise geschickt werden würde.
    Yves steckte der Schrecken noch für zwei weitere Tage in den Knochen. So sehr, dass er sich am dritten Tag aufmachte, die Funkausrüstung in den Felsenkeller zu verfrachten und ihn zur Scheune hin zuzumauern.
    Zwei Tage später griffen die Deutschen zwei Flüchtlinge auf, die sie unter Gejohle und Schlägen mit Haselruten die Straße nach Damprichard hinauftrieben.
    Den nach diesem Vorfall aufkommenden Gerüchten entsprechend seien es Juden gewesen, die zu einer Sammelstelle gebracht und von da aus in den Osten deportiert wurden. Überhaupt würden in ganz Frankreich immer mehr Juden verhaftet und deportiert.
    Der Druck an der Grenze stieg. Die Bewachung wurde auf beiden Seiten verstärkt. Flüchtlinge wurden vermehrt aufgegriffen. Zeit für Yves, wieder Kontakt mit seinen Mittelsmännern im Hinterland aufzunehmen. Zeit für Yves, wieder in Verbindung mit Breiter zu treten.
    „Juliette a cinq vaches.“
    „Juliette a cinq vaches.“
    „Es gibt

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