Polgara die Zauberin
Wenn wir getäuscht worden sind, ist alles verloren.«
»Nicht unbedingt verloren, aber wir wären übel ausmanövriert. Laßt Euer Pferd schlafen. Ich werde Euch zu Lathan bringen.«
»Aber –« wollte er einwenden.
»Vertrau mir, Liebster«, sagte ich, während ich ihm zärtlich meinen Finger auf die Lippen legte. Dann, solange sie noch so gut erreichbar waren, ging ich einen Schritt weiter und küßte jene weichen Lippen – nur um mich zu vergewissern, ob sie noch genauso gut schmeckten wie beim letzten Mal, ihr versteht?
»Lady Polgara?« fragte er unsicher.
»Es ist nicht höflich, mich zu unterbrechen, wenn ich beschäftigt bin, Schatz«, erklärte ich mit fester Stimme. Dann küßte ich ihn noch einmal. »Nun«, seufzte ich mit einem gewissen Bedauern, »das ist für den Moment wohl genug, nehme ich an.« Mir war soeben ein Verdacht gekommen, der meinem Kämpen ganz gewiß nicht gekommen war. Ontrose war trotz all seiner Weitläufigkeit ein Unschuldslamm, wenn es um Politik ging. Seine lebenslange Freundschaft mit Lathan machte es ihm unmöglich, dem Baron zu mißtrauen. Ich hingegen hatte in meinem Leben schon zuviel Betrug erlebt, um nicht stets etwas gesundes Mißtrauen zu bewahren. »In wenigen Minuten werden wir Baron Lathan einen Besuch abstatten«, versprach ich ihm. »Wenn wir uns mit ihm unterhalten, wäre es mir lieber, du würdest nichts von unseren unklaren Vermutungen bezüglich des Standorts von Garteons Armee erwähnen.«
»Ich muß gestehen, daß ich Euch nicht zu folgen vermag, Geliebte.«
»Wir sollten ihn nicht mit unseren Mutmaßungen verwirren, Ontrose. Laß ihn seine eigenen Schlüsse ziehen. Seine Antwort kommt der Wahrheit möglicherweise näher als unsere. Wir sollten uns diese Möglichkeit nicht von vornherein verbauen. Du erzählst ihm einfach, daß Garteons Flotte vor Anker liegt, und dann deutest du die Möglichkeit eines wichtigen Termins an. Davon soll er ausgehen, und dann schauen wir einmal, zu welchem Ergebnis er kommt. Lathan verfügt über einen wachen Verstand, und wir wären Narren, auf seinen Scharfsinn zu verzichten.«
»Ihr seid beachtlich weise, meine Geliebte«, sagte er bewundernd.
»Du bist der netteste Junge weit und breit, Ontrose«, erwiderte ich, wobei ich ihm zärtlich die Hand an die Wange legte.
»Wie gedenket Ihr uns ins Heerlager Lathans zu verbringen?« erkundigte er sich.
»Es ist vermutlich besser, wenn du nicht zu viele Einzelheiten erfährst, Liebster«, unterrichtete ich ihn. »Es ist wirklich nicht wichtig und würde dich nur durcheinanderbringen. Gib dich nur ganz in meine Hand und vertrau mir.«
»Mit meinem Leben, Geliebte.«
Ich entschloß mich, ihn nicht in eine Feldmaus zu verwandeln, wie ich es weiland mit dem armen Killane getan hatte. Ich wollte ihn nicht erniedrigen, und ich wollte, daß er einen klaren Kopf hatte, wenn er mit Lathan sprach – für alle Fälle. Auf meinen Vorschlag hin begaben mein Kämpe und ich uns zu einem kleinen Hain außerhalb der Stadt. Es war kurz vor Mitternacht, aber der Vollmond erleuchtete die Nacht fast taghell. Ich berührte die bleiche Stirn meines Geliebten mit meiner Hand und flüsterte: »Schlaf.«, was er auch tat. Dann sammelte ich meinen Willen und schrumpfte ihn.
Es hört sich nicht schön an, ich weiß, aber so hat es sich zugetragen.
Als der Vorgang abgeschlossen war, glich mein Kämpe einer kleinen Statuette von vielleicht sechs Zoll, und er wog nicht mehr als ein paar Unzen. Ich hielt ihn ein Weilchen in meiner Hand, dann zuckte ich die Schultern, wickelte ihn in ein Taschentuch und steckte ihn in mein Mieder, um ihn nicht zu verlieren.
Denkt nicht einmal daran, eine kluge Bemerkung zu machen! Ich meine es ernst!
Ich nahm wieder zur Translokation Zuflucht, obwohl das des Nachts ein wenig heikel ist – selbst bei Vollmond.
Baron Lathans Armee stand mittlerweile ein Stück nördlich von Sulturn, und mit Hilfe der Wachtfeuer konnte man sein Lager leicht finden. Ich unternahm meinen letzten Sprung auf eine offene Hügelkuppe ungefähr eine halbe Meile von seinen Feldwachen entfernt. Dann schaute ich mich vorsichtig um, griff in mein Mieder und holte meinen Kämpen heraus. Behutsam legte ich ihn ins Gras, kehrte den Vorgang um, der ihn verkleinert hatte, und sagte schließlich: »Wach auf, Liebster!«
Er schlug die Augen auf und fuhr sich über die Stirn. »Mir will scheinen, als hätte ich an einem Orte geweilt der wunderbar warm war«, bemerkte er.
»Ja«, pflichtete ich ihm bei. Ich hielt es
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