PolyPlay
ein bisschen hin, und ich gewinne ein paar Minuten für mein Sightseeing. Halt dich wacker. Krisst auch 'n Orden.«
»Na ja.«
Kramer schloss die Tür des Aufenthaltsraums hinter sich und lief den Gang hinab. Er suchte nach einem Weg in den Hof. Nach fünf Minuten stand er auf dem sonnenwarmen Asphalt. Er war sich nicht sicher, wohin er jetzt gehen sollte. Er wusste auch nicht sicher, wonach er eigentlich suchte. Möglicherweise handelte es sich bei seinem eigenmächtigen Ausflug ohnehin nur um eine Trotzreaktion. Aber wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, dann genoss er dieses kleine Indianerspiel sehr. Kramer setzte eine entschlossene Miene auf und überquerte den Hof. Zwei Arbeiter, denen er auf seinem Weg begegnete, grüßte er freundlich und bestimmt, wie ein Vorgesetzter auf einem Inspektionsrundgang. Die Wirkung war durchschlagend: Er wurde verbindlich zurückgegrüßt, man hielt ihn für einen Werksangehörigen.
Als er ein graues Quergebäude mit verhängten Fenstern umrundet hatte, lag eine lang gestreckte Baracke vor ihm: rotbraunes Holz, länger nicht gestrichen; Fenster, Regenrinne, Dachpappe, fertig. Er hatte dieses Gebäude eben schon aus dem vierten Stock gesehen und sich gefragt, welchem Zweck es wohl dienen mochte. Na wunderbar, dachte er, jetzt find ich's raus.
Neben der Eingangstür hing ein Schild, das in veralteter Schrift sagte: »Abteilung IVd, Wiederaufbereitung«. Das gefiel ihm richtig gut; er wollte wissen, was da wiederaufbereitet wurde. Dass die Tür verschossen war, beeindruckte ihn nicht weiter. Kramer hatte sein Pick-Set immer dabei, und damit umgehen konnte er, seit ihm Mitschüler auf der Hochschule der Deutschen Volkspolizei Karl Liebknecht das Schlossknacken beigebracht hatten. Nach einer halben Minute konzentrierter Arbeit war die Tür offen, und Kramer betrat die Abteilung Wiederaufbereitung.
Zunächst war er enttäuscht. Die Baracke schien nichts weiter zu enthalten als zwei Regalreihen, die bis obenhin mit Elektromüll voll gestopft waren: alte Monitore und Computer aus West und Ost, inklusive Zubehör. Kramer sah Modems, obsolete externe Festplatten und Drucker – sogar Telefone und Fernseher waren dabei. Manche der Geräte sagten ihm rein gar nichts. An den Regalen vorbeistreifend las er immer wieder die gleichen Namen auf den Gehäusen: »Robotron«, »IBM«, manchmal auch »Zenith« und »Acorn«. Das verbarg sich also hinter dem hochtrabenden Titel »Wiederaufbereitung«: ein Computerfriedhof. In der Baracke war es stickig, der Staub tanzte in den schmalen Bahnen Sonnenlicht, die durch die verdreckten Fenster hindurchfanden.
Kramer lief einfach weiter. Weiter hinten gab es Kisten mit ausgebauten Kleinteilen bis hinab zu einzelnen Schrauben, noch weiter hinten eine ausgedehnte Sammlung mit Computerhandbüchern seit der Entwicklung des binären Zahlensystems durch Leibniz im Jahre 1703: DEC PDP-8 Referenzhandbuch, Bürocomputer A5110, A5120, A5130 – Systembeschreibung und Nutzererfahrungen, Datenverwaltung REDABAS 3. Du meine Güte, dachte Kramer. Er wischte sich die Hände ab, als er die Bücher wieder in die Regale zurückgestellt hatte.
Er wollte schon umdrehen, als er die Tür entdeckte. Sie war unauffällig in die Querwand eingelassen, eine einfache graue Tür mit einer Standardklinke in abgegriffenem Chrom und einem großen Kratzer fast quer über das ganze Türblatt. Vielleicht war es der Kratzer, der Kramers Aufmerksamkeit erregt hatte. War das nur der Hinterausgang dieser Baracke? Er drückte die Klinke: abgeschlossen. Er besah sich das Schloss und pfiff durch die Zähne: ein ziemlich neues Bohrmuldenschloss, absolut nicht angemessen für einen einfachen Hinterausgang. Diesmal brauchte Kramer über fünf Minuten. Er kam richtig ins Schwitzen, und das nicht nur wegen der Temperatur. Als die Tür aufschwang, nahm er sich vor, in nächster Zeit wieder mehr zu üben.
Hinter der Tür befand sich eine menschenleere Werkstatt. Auf Tischen, die an den Wänden umliefen, lagen Werkzeuge, elektronische Bauteile und Geräte ziemlich bunt durcheinander. Pro Arbeitsplatz hing von der Decke ein Stromkabel mit einer Mehrfachsteckdose herab, so dass jeder Techniker an seinem Tisch unabhängig von den anderen hantieren konnte. Nach Kramers laienhafter Auffassung war die Ausstattung für einen reinen Ausschlachtbetrieb zu aufwändig. Hier wurde anscheinend wirklich wiederaufbereitet. Was ihn aber erstaunte, war die Tatsache, dass an fünf von schätzungsweise zehn
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