Poor Economics
tiefsinnigsten Vertretern der heute in den Wirtschaftswissenschaften gepflegten pessimistischen Auffassung, dass sich Länder nicht entwickeln können, solange die politischen Institutionen nicht »fixiert«, das heißt, festgelegt oder stabilisiert sind, doch Institutionen – und darunter versteht man nicht nur Einrichtungen, sondern auch Regelsysteme, an die sich alle halten und auf die sich alle verlassen können müssen – lassen sich nur schwer fixieren. Acemoglu und Robinson definieren Institutionen so: »Wirtschaftliche Institutionen schaffen ökonomische Anreize, Anreize für das Streben nach Bildung, für Geldanlagen und Investitionen, für Innovation und die Übernahme neuer Technologien und so weiter. Politische Institutionen stecken den Rahmen ab, innerhalb dessen Bürger Politiker kontrollieren können.« 5
Sowohl Politikwissenschaftler als auch Ökonomen denken bei Institutionen immer groß. Man könnte sagten: Für sie werden Institutionen immer großgeschrieben: Wirtschaftliche
INSTITUTIONEN wie Eigentumsrecht und Steuersysteme, politische INSTITUTIONEN wie Demokratie oder Autokratie, Zentralismus oder Föderalismus, allgemeines oder eingeschränktes Wahlrecht. In ihrem Buch Why Nations Fail (»Warum Staaten versagen«), 6 das eine unter Politikwissenschaftlern weit verbreitete Sichtweise widerspiegelt, 7 behaupten Daron Acemoglu und James Robinson, diese (großen) Institutionen seien die wichtigsten Triebkräfte für Erfolg oder Misserfolg einer Gesellschaft. Gute wirtschaftliche Institutionen unterstützen Bürger dabei, zu investieren, zu sparen und neue Techniken zu entwickeln; die Gesellschaft prosperiert dadurch. Schlechte Institutionen bewirken das Gegenteil. Ein Problem ist, dass Regierungschefs, die über die Macht verfügen, wirtschaftliche Institutionen zu gestalten, nicht zwangsläufig ein Interesse daran haben, dass sich die Bürger ihres Staates zum eigenen Nutz und Frommen entfalten können. Sie haben unter Umständen persönlich mehr von einem Wirtschaftssystem, in dem sehr genau geregelt ist, wer was tun darf (und in dem sie zu ihrem Vorteil Ausnahmen gestatten); ein schwacher Wettbewerb kann ihnen vielleicht sogar die Macht sichern. Aus diesem Grund werden politische Institutionen gebraucht – sie sollten Regierende davon abhalten, die Wirtschaft mit Blick auf den eigenen Vorteil zu organisieren. Wenn sie gut funktionieren, erlegen politische Institutionen Regierenden so viele Beschränkungen auf, dass sie nicht allzu weit vom Pfad des öffentlichen Interesses abkommen können.
Unglücklicherweise setzen sich schlechte Institutionen meist in schlechten Institutionen fort, so entsteht ein Teufelskreis, der manchmal auch das »eherne Gesetz der Oligarchie« genannt wird. Diejenigen, die unter den aktuellen politischen Verhältnissen die Macht innehaben, sorgen dafür, dass die wirtschaftlichen Institutionen für sie arbeiten, und wenn sie reich genug sind, verwenden sie üblicherweise ihr Vermögen darauf, alle Versuche, sie von der Macht zu verdrängen, abzuwehren.
In den Augen von Acemoglu und Robinson ist der Fortbestand schlechter politischer Institutionen der Hauptgrund, weshalb
sich viele Entwicklungsländer nicht weiterentwickeln. Diese Länder haben aus der Kolonialzeit schlechte Institutionen »geerbt«, die von den früheren Herren nicht mit dem Ziel eingerichtet wurden, das Land voranzubringen, sondern um möglichst viele seiner Ressourcen für die Kolonialmacht herauszupressen. Nach dem Ende der Kolonialzeit fanden es die neuen Herrscher praktisch, die existierenden ausbeuterischen Institutionen beizubehalten und für die eigenen Interessen zu nutzen; so kam ein Teufelskreis in Gang. In einem Artikel, der bereits zum Klassiker geworden ist, zeigten Daron Acemoglu, James Robinson und Simon Johnson zum einen, dass ehemalige Kolonien, in denen sich wegen der Häufigkeit von Tropenkrankheiten kaum Europäer niedergelassen hatten, während der Kolonialzeit die schlechtesten Institutionen besaßen (weil sie aus großer Entfernung ausgebeutet werden mussten), und zum anderen, dass diese schlechten Institutionen in der Unabhängigkeit bestehen blieben. 8
Ein beeindruckendes Beispiel für den langen Schatten der politischen Institutionen fanden Abhijit und Lakshmi Iyer in Indien. 9 Während der britischen Kolonialherrschaft hatten sich in verschiedenen Distrikten, mehr oder weniger zufällig, unterschiedliche Systeme für die Erhebung der Grundsteuer etabliert (welches
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