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Menge über das deutsche Ingenieurswesen und verschiedene Schiffbaumethoden gelernt. Doch mein Interesse
an der Homöopathie entsprang außerdem dem ehrlichen Wunsch zu heilen. Ich wollte verhindern, dass mein Großvater auch noch
starb – und ich war keinesfalls bereit, irgendwelchen Ärzten zu vertrauen, die ja schon bei meiner Mutter und dann auch bei
meiner Großmutter versagt hatten. Ich war mir sicher, ihn selbst am Leben halten zu können, wenn ich mir nur die richtigen
Fähigkeiten aneignete.
Die Homöopathie ist mit Sicherheit ebenso sehr Kunst wie Wissenschaft. Die Namen der Mittel haben mich immer schon begeistert.
Arsenicum, Lachesis, Pulsatilla, Tarantula, Sulphur, Natrium muriaticum
… Es gibt Tausende davon, und alle haben sie lateinische Namen. Man kann die Arzneien in verschiedenen Darreichungsformen
bekommen: als Tropfen, Kautabletten oder Tabletten. Ich nehme eigentlich immer die gängigste Form: kleine, weiße Zuckerkügelchen,
die man auf der Zunge zergehen lässt. Jedes dieser Globuli enthält nur noch die wisper-winzigste Spur – einen fernen Nachgedanken,
einen vergessenen Traum – der ursprünglichen Substanz, die oft bis zu tausend Mal verdünnt und verschüttelt wurde, um die
Wirkkraft freizusetzen (und das Gift unschädlich zu machen, denn fast alle homöopathischen Urtinkturen sind hochgiftig). Anfangs
stand ich der Wirksamkeit dieses sonderbaren medizinischen Systems, das so ganz anders war als alles, was ich bisher kannte,
eher skeptisch gegenüber, doch dann erlebte ich, wie die Mittel wirkten. Seit ich die Homöopathie für mich entdeckt habe,
war ich kein einziges Mal mehr beim Arzt. Meinen Großvater konnte ich allerdings nicht retten: Er weigerte sich am Ende, auch
nur irgendein Medikament einzunehmen.
Der Grünmann sieht mich an, und seine Augen verschwinden fast unter den eingerollten Blättern, die ihm als Bart und Haar dienen.
Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass mansolche Grünen Männer oder Laubgesichter hoch oben an alten Kirchen finden kann, angebracht von den Ungläubigen, die die Kirchen
erbauen mussten, als Zeugnis unserer heidnischen Vergangenheit. Ich lächele dem Grünmann zu, doch er schaut nur unverwandt
zurück. Schließlich lege ich ihn beiseite und krame mein Notizbuch hervor.
Mark Blackman hat es mit seinem Vortrag tatsächlich fertiggebracht, mich ein bisschen mehr für dieses Projekt zu begeistern.
Ich notiere ein paar zusätzliche Gedanken und Ideen unter meine Mitschrift, dann sehe ich alles noch einmal durch. Und wie
es sich für die Musterschülerin, die ich plötzlich geworden bin, gehört, erstelle ich ganz sorgfältig eine Matrix mit den
Attributen, die ich einem Produkt für Teenies zuordnen würde, und füge dann noch eine weitere Spalte hinzu, die nur zwei Wörter
enthält: «Automatische Verbreitung.» Das Produkt muss die Fähigkeit besitzen, sich selbst zu verbreiten. Als Gedächtnisstütze
für mich schreibe ich noch darunter:
Das Produkt sollte möglichst sein eigenes Übertragungsmedium sein
.
Es klopft, und ich zucke heftig zusammen. Da wollte ich mir also weismachen, ich hätte kein Problem mit den merkwürdigen Vorkommnissen
hier, und kaum klopft es an meine Tür, falle ich vor Schreck fast vom Stuhl. Ob das Hiro oder sein geheimnisvoller Auftraggeber
ist, der die versprochene längere Nachricht bringt? Ich öffne die Tür. Draußen steht Ben und lächelt mich an.
«Du bist da», sagt er. «Gut.»
«Hallo», sage ich. «Wie war die Segelstunde?»
«Ganz okay.» Er kommt grinsend ins Zimmer. «Wann seid ihr dran?»
«Um drei. Ich wollte gerade ein bisschen arbeiten und mich dann noch ein Stündchen hinlegen.»
«Hättest du gern Gesellschaft dabei?»
«Ja, das wäre schön. Ich muss allerdings unbedingt ein bisschenschlafen. Gestern Nacht bin ich angezogen auf dem Bett eingepennt und um sechs wieder aufgewacht, und das Radio lief die ganze
Zeit.»
«Nicht schön.»
«Nein.»
Ich setze mich im Schneidersitz aufs Bett. Ben lässt sich im Sessel nieder.
«Und, woran wolltest du arbeiten?»
«An dieser Teeniesache.»
«Meine Güte, du bist ja richtig fleißig.»
«So würde ich das nicht nennen. Ich habe gerade erst angefangen.»
«Diese ganze Geschichte …» Ben wirkt zerstreut, sein Blick streift ziellos durch das Zimmer.
«Ja?»
«Irgendwie ist das nicht ganz koscher, findest du nicht?»
«Wie meinst du das?», frage ich. Er sieht wirklich ziemlich fertig aus.
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