PopCo
gar nichts mehr am Inhalt der Kisten ändern», sage ich. «Wenn man sich also
umentscheidet, kann es nicht mehr rechtzeitig eingreifen und das Geld wieder wegnehmen. Jetzt verstehe ich auch das Paradoxe
daran. Wird das Höhere Wesen vorher gewusst haben, dass du dich umentscheiden wirst, weil das nach den Regeln des Spiels die
vernünftigste Entscheidung wäre? Falls es das vorausgesagt hat, solltest du beide Kisten nehmen, weil du sonst gar nichts
hast. Oder denkt das Höhere Wesen bereits einen Schritt weiter und weiß, dass du letztlich doch Kiste B wählen wirst, weil
du nur so an die Million kommst?»
«Genau!», sagt Esther. «Ziemlich cooles Rätsel, nicht? Hab ich von Grace. Sie sagt, es gibt für beide Positionen gute mathematische
Argumente, bisher hat aber niemand beweisen können, welche tatsächlich die richtige ist.»
Ich kaue meinen Kaugummi und frage mich, ob das jetzt vielleicht so eine Frage ist, auf die es wirklich keine Antwort gibt.
«Ich wäre immer noch dafür, Kiste B zu nehmen», sagt Ben. «Man entscheidet sich, nicht zu betrügen, dann weiß das Höhere Wesen,
dass man ein moralisch aufrechter Mensch ist und nicht gern betrügt, und man bekommt seine Million. Fertig. Kompliziert wird
es doch nur, wenn man versucht, das Höhere Wesen auszutricksen. Man nimmt also Kiste B und versucht gar nicht erst, auch noch
an Kiste A zu kommen, weil man weiß: Wenn man das versucht, hat das Höhere Wesen es garantiert vorher gewusst.»
«Ja», sage ich. «Das ist überhaupt ein interessanter Aspekt.Hat das Höhere Wesen auch eine moralische Seite oder besteht es aus reiner Logik?» Plötzlich kommt mir der Gedanke, ob das
nicht vielleicht die Definition von Habgier sein könnte: ein Spiel der Logik, ganz ohne Moral.
«Eigentlich kann es nur aus Logik bestehen», sagt Esther. «Sonst hätte Ben ja recht, das wäre die Lösung, und es gäbe kein
Paradox mehr.» Sie nimmt sich noch einen Bären. «Mein Höheres Wesen ist sowieso ganz anders.»
«
Dein
Höheres Wesen?», frage ich.
«Ja. Ich glaube, wir denken uns alle unser eigenes Höheres Wesen aus. Darum geht es doch im Leben. Man erfindet sich seine
eigene Religion, mit Jenseits und Höherem Wesen, falls man eines braucht, und allem, was sonst noch dazugehört, und wenn man
stirbt, kriegt man auch ungefähr das, was man erwartet. Die Leute, die an gar nichts glauben oder einfach keine Lust haben,
sich ihr eigenes Glaubenssystem zu überlegen, kommen nach dem Tod auch nirgendwo hin. Die Leute, die an komplizierte Wiedergeburten
und Lebenszyklen glauben, kriegen das. Und die, die einer organisierten Religion anhängen, kriegen das, was die jeweils im
Angebot hat, was allerdings meistens nicht so toll ist …»
«Aber das ist doch auch schon wieder paradox», wirft Ben ein. «Deine selbsterfundene Religion besteht also darin, dass alle
Menschen auf der Welt sich ihre Religion selbst aussuchen dürfen und so weiter und so fort. Wenn du also recht hast und sich
tatsächlich jeder seinen eigenen ‹Lebenssinn› suchen muss, hast du das ja als Teil deiner eigenen Sinnstiftungstheorie erfunden.
Jemand anders könnte hingehen und sagen ‹Ich glaube aber was ganz anderes› und dein Konzept damit aufheben …»
«Eine klassische Rückkopplungsschleife», sage ich. «Obwohl mir die Idee an sich sehr gut gefällt.»
«Du immer mit deiner blöden Theologie», sagt Esther zuBen. «Und du immer mit deiner blöden Mathematik.» Das gilt mir. «Von so was kriege ich Kopfschmerzen.»
«Eins verstehe ich aber noch nicht», sagt Ben. «Du scheinst dir nicht sicher zu sein, welches Geschlecht dein Höheres Wesen
hat. Dazu musst du dir doch eigentlich Gedanken gemacht haben …?»
«Wann habe ich das denn gesagt?», fragt Esther verwirrt.
«Gerade eben, bei der Sache mit den Kisten.»
«Ach so. Das war Newcombs Höheres Wesen, nicht meins», sagt sie. «Mein Höheres Wesen würde sich nicht mit ein paar Kisten
abgeben.»
«Vermutlich, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt ist, Hamburger für dich zu braten», sagt Ben. «Und Newcomb wusste also
nicht, welches Geschlecht sein Höheres Wesen hat?»
«Anscheinend nicht», erwidert Esther. «Aber das weiß ich nicht mehr so genau. Ich glaube, in der Newcomb-Paradoxie kann das
Höhere Wesen alles Mögliche sein, darum wollte ich mich da auch nicht festlegen. Wieso ist Alice eigentlich plötzlich so still?»
«Hm?», frage ich. «Ach, ich dachte nur
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