Portrat in Sepia
Gutsherren gestattete, die Töchter der Bauern zu entjungfern,
bevor die heirateten. Er selbst hatte das in seiner Jugend
betrieben, aber als Dona Elvira auf dem Gut eingezogen war,
war mit diesen Freiheiten Schluß gewesen. Er billigte auch nicht
die Besuche in den Bordellen der Landstädtchen und hatte
darauf bestanden, daß seine Söhne jung heirateten, um
Versuchungen aus dem Weg zu gehen. Eduardo und Susana
hatten das vor sechs Jahren getan, als beide zwanzig waren, und
für Diego, damals siebzehn, hatten sie ein Mädchen ausgesucht,
das mit der Familie verwandt war, aber im See ertrank noch vor
der Verlobung. Eduardo war ein fröhlicherer Mensch als Diego,
er konnte gut singen und Witze erzählen, kannte alle Legenden
und Geschichten der Gegend, unterhielt sich gern und verstand
zuzuhören. Er war sehr verliebt in Susana, seine Augen
leuchteten auf, wenn er sie sah, und er wurde niemals
ungeduldig angesichts ihrer labilen Gemütszustände. Meine
Schwägerin litt an Kopfschmerzen, die sie in übelste Laune
versetzten, sie schloß sich dann in ihrem Zimmer ein, aß nichts,
und niemand durfte sie, aus welchem Grund auch immer, stören,
aber wenn die Schmerzen vorbei waren, kam sie völlig gesund
wieder zum Vorschein, lachend und zärtlich, eine völlig
verwandelte Frau. Ich hatte festgestellt, daß sie allein schlief und
daß weder ihr Mann noch die Kinder ihr Zimmer ohne
Einladung betreten durften, die Tür war immer geschlossen. Die
Familie war an ihre Migräne und ihre Depressionen gewöhnt,
aber ihr Wunsch nach Abgeschiedenheit erschien ihnen fast
beleidigend, wie es sie auch befremdete, daß ich niemandem
gestattete, ohne meine Erlaubnis meine Dunkelkammer zu
betreten, in der ich meine Filme entwickelte, obwohl ich ihnen
erklärt hatte, wieviel Schaden ein einziger Lichtstrahl an meinen
Negativen anrichten konnte. In Caleufú gab es keine Schlüssel
an den Türen außer in den Kellerräumen und am Geldschrank
im Büro. Natürlich kamen Diebstähle vor, aber sie hatten keine
bösen Konsequenzen, denn im allgemeinen drückte Don
Sebastian ein Auge zu. »Diese Menschen sind sehr unwissend,
sie stehlen nicht aus Verkommenheit oder aus Bedürfnis,
sondern aus schlechter Gewohnheit«, sagte er, nur hatten die
Pachtbauern in Wirklichkeit mehr Bedürfnisse, als ihr Herr
zugab. Die Bauern waren frei, aber praktisch hatten sie seit
Generationen auf diesem Land gelebt, und sie kamen gar nicht
auf den Gedanken, daß es auch anders sein könnte, wohin hätten
sie auch gehen sollen. Nur wenige wurden alt. Viele Kinder
starben an Darminfektionen, Rattenbis sen oder
Lungenentzündung, die Frauen bei der Niederkunft oder an
Auszehrung, die Männer durch Unfälle, infizierte Wunden und
Alkoholvergiftung. Das nächstgelegene Krankenhaus wurde von
Deutschen geführt, dort arbeitete ein bayerischer Arzt, der einen
sehr guten Ruf hatte, aber er unternahm die Fahrt aufs Land nur
in dringenden Fällen, die geringfügigeren Leiden wurden mit
Geheimmitteln aus der Natur, Gebeten und der Hilfe der Meicas
behandelt, jener eingeborenen Heilerinnen, die die Kraft der hier
wachsenden Pflanzen besser kannten als irgend jemand sonst.
Ende Mai brach der Winter in aller Härte herein mit seinem
Regenvorhang, der die Landschaft einweichte wie eine
geduldige Waschfrau, und mit seiner frühen Dunkelheit, die uns
um vier Uhr nachmittags ins Haus zwang und die Nächte zur
Ewigkeit machte. Ich mußte auf meine langen Ausritte
verzichten und konnte auch das Gutsvolk nicht mehr
fotografieren. Wir waren abgeschnitten, die Wege waren ein
einziger Morast, und niemand besuchte uns. Ich beschäftigte
mich damit, in meiner Dunkelkammer mit verschiedenen
Entwicklungstechniken zu experimentieren, oder machte Fotos
von der Familie. Ich entdeckte, daß alles, was existiert,
zueinander in Beziehung steht, Teil einer dichtgedrängten
Zeichnung ist; was auf einen flüchtigen Blick als Wirrwarr von
Zufälligkeiten erscheint, enthüllt sich vor dem minutiös
beobachtenden Blick der Kamera in seiner vollendeten
Symmetrie. Nichts ist zufällig, nichts ist banal. Wie in dem
scheinbaren Chaos des Waldes ein strikter Zusammenhang
zwischen Ursache und Wirkung besteht, für jeden Baum gibt es
Hunderte Vögel, für jeden Vogel Tausende Insekten, für jedes
Insekt Millionen organischer Partikel - so sind die Bauern bei
ihrer Arbeit oder die Familie, vor dem Winter geschützt im
Hause, nur Teile eines gewaltigen Freskos, das
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