Portrat in Sepia
Jagd,
manchmal kampierten sie tagelang draußen. Ich vertrug die
Langeweile im Hause nicht mit dieser nie endenden
Geschäftigkeit - Kompott und anderes Eingemachtes kochen,
Räume putzen und lüften, Sachen nähen und stricken, und
zwischendurch Susanas Kinder verhätscheln; wenn ich mein
bißchen Helfen in der Schule oder der Fürsorgestelle des Gutes
beendet hatte, zog ich mir Hosen von Diego an und galoppierte
davon. Meine Schwiegermutter hatte mich gewarnt, ich solle
nicht rittlings wie ein Mann aufs Pferd steigen, weil ich dadurch
»weibliche Probleme« bekäme, ein Euphemismus, den ich nie
ganz zu deuten wußte, aber niemand konnte in dieser Natur aus
Hügeln und Felsen im Damensitz reiten, ohne sich bei einem
Sturz das Genick zu brechen. Die Landschaft verschlug mir den
Atem, überraschte mich an jeder Wegbiegung, verzauberte
mich. Ich ritt hügelaufwärts und talabwärts bis zu den dichten
Wäldern, dem Paradies aus Lärchen, Lorbeerbäumen,
Riesenmagnolien, Eiben, Lumamyrten und tausendjährigen
Araukarien, lauter Edelhölzern, die die Dominguez in ihrer
Sägemühle verarbeiteten. Mich berauschte der Duft des feuchten
Urwalds, dieses sinnliche Aroma von roter Erde, Pflanzensaft
und Wurzeln; berauschte der Frieden des von den schweigenden
grünen Riesen bewachten Dickichts, das geheimnisvo lle
Murmeln des Waldes: Gesang unsichtbarer Wasser, Tanz der in
den Zweigen gefangenen Luft, Raunen von Laub und Insekten,
Gurren der sanften Ringeltauben und Schreie der lärmenden
Raubvögel, der Caracarás. Die Wege endeten alle bei der
Sägemühle, dahinter mußte ich mir den Weg durch das
Strauchwerk bahnen, wobei ich mich auf den Instinkt meiner
Stute verließ, deren Hufe in dicken, petroleumfarbenen
Schlamm einsanken, der roch wie Pflanzenblut. Das Licht
wurde in klaren schrägen Strahlen durch die mächtigen Kuppeln
der Bäume gefiltert, aber es gab hier auch kalte Bezirke, wo die
Pumas kauerten und mich mit glühenden Augen beobachteten.
Ich hatte eine Flinte bei mir, am Sattel befestigt, aber im Notfall
hätte ich nie die Zeit gehabt, sie herauszuziehen, und ich hätte
sie ohnedies nie abgeschossen. Ich fotografierte die alten
Wälder, die Seen mit dem schwarzen Sand, die stürmischen
Flüsse mit den singenden Steinen und die wuchtigen Vulkane,
die den Horizont krönten wie schlafende Drachen in Türmen aus
Asche. Ich machte auch Aufnahmen von den Pachtbauern, die
ich ihnen später schenkte und die sie verwirrt entgegennahmen,
weil sie nicht wußten, was sie mit diesen Bildern von sich selbst
anstellen sollten, um die sie nicht gebeten hatten. Mich
faszinierten ihre von Wetter und Armut gehärteten Gesichter,
aber sie mochten sich nicht so sehen, so wie sie waren, mit ihren
Lumpen und ihren Leiden, sie wollten handkolorierte
Porträtaufnahmen, auf denen sie posierten in den einzigen
richtigen Kleidern, die sie hatten, den Hochzeitskleidern, sie
selbst schön gewaschen und gekämmt und die Kinder mit frisch
geschrubbten Gesichtern.
Am Sonntag ruhte die Arbeit, und es gab eine Messe sofern
wir einen Priester bei der Hand hatten - oder »Missionen«, bei
denen die Frauen der Familie die Pachtbauern in ihren Häusern
besuchten, um ihnen Religionsunterricht zu geben. So
bekämpften sie mit kleinen Geschenken und Hartnäckigkeit die
Glaubensvorstellungen der Eingeborenen, die sich mit den
christlichen Heiligen verstrickten. Ich beteiligte mich nicht an
den frommen Predigten, aber ich benutzte sie, um bei den
Bauern bekannt zu werden. Viele waren reine Indios, die noch
Ausdrücke in ihrer Sprache benutzten und ihre Traditionen
lebendig erhielten, andere waren Mestizen, alle bescheiden und
schüchtern in normalen Zeiten, aber streitsüchtig und lärmig,
wenn sie getrunken hatten. Der Alkohol war ein bitterer Balsam,
der für ein paar Stunden den alltäglichen irdischen Kummer
leichter machte, während er ihnen die Eingeweide zerfraß wie
eine Ratte. Saufgelage und Schlägereien mit blanker Waffe
wurden mit Geldbußen belegt ebenso wie andere Vergehen,
etwa ohne Erlaubnis einen Baum fällen oder die eigenen Tiere
frei herumlaufen lassen außerhalb des jedem für eigene
Bewirtschaftung zugewiesenen halben Hektars. Diebstahl oder
Unverschämtheit gegenüber den Höhergestellten wurden mit
Prügeln geahndet, aber Don Sebastian war körperliche Strafe
zuwider. Er hatte auch das Recht der »pernada« abgeschafft,
eine alte, noch aus der Kolonialzeit rührende Tradition, die den
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