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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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wir nie ganz
überblicken. Das Wesentliche ist oft unsichtbar; das Auge erfaßt
es nicht, nur das Herz, aber der Kamera gelingt es bisweilen,
Spuren davon festzuhalten. Das suchte Meister Ribero mit seiner
Kunst zu erreichen, und das war er bemüht mich zu lehren: das
nur Dokumentarische zu überwinden und zum Kern zu kommen,
zur Seele der Wirklichkeit. Diese subtilen Beziehungen, die auf
dem Fotopapier auftauchten, bewegten mich tief und ermutigten
mich, weiter zu experimentieren. In der winterlichen
Abgeschlossenheit wuchs meine Wißbegier; je erstickender und
enger die Umgebung wurde bei diesem Überwintern zwischen
den dicken Adobemauern, um so unruhiger wurde mein Geist.
Ich begann wie besessen den Inhalt des Hauses und die
Geheimnisse seiner Bewohner zu erforschen. Ich überprüfte mit
neuen Augen das familiäre Umfeld, als sähe ich es zum
erstenmal, ohne etwas als bekannt vorauszusetzen. Ich ließ mich
von der Intuition leiten, ließ vorgefaßte Meinungen beiseite,
»wir sehen nur das, was wir sehen wollen«, hatte Don Juan
Ribero gesagt und hinzugefügt, meine Arbeit müsse es sein, das
zu zeigen, was vorher niemand gesehen habe. Anfangs posierten
die Dominguez vor mir mit erzwungenem Lächeln, aber bald
hatten sie sich an meine stille Gegenwart gewöhnt und
übersahen schließlich die Kamera, wodurch ich sie unvorbereitet
einfangen konnte, so wie sie waren. Der Regen hatte Blumen
und Blätter mitgenommen, das Haus mit seinen schweren
Möbeln und den großen leeren Zwischenräumen hatte sich
gegen die Außenwelt abgeschottet, und wir saßen fest in einer
seltsamen häuslichen Gefangenschaft. Wir gingen durch die von
Kerzen beleuchteten Zimmer und wichen der eisigen Zugluft
aus; das Holz knarrte wie Witwenächzen, und man hörte das
flinke Trippeln der Mäuse bei ihren eifrigen Betätigungen; es
roch nach Schlamm, nach nassen Ziegeln, nach schimmelnder
Wäsche. Die Diener zündeten Kohlenbecken und Kamine an,
die Mädchen brachten uns Flaschen mit heißem Wasser, Decken
und große Becher mit dampfender Schokolade, aber es gab
keinen Weg, den langen Winter zu betrügen. Und da erlag ich
der Einsamkeit.
    Diego war ein Phantom. Ich versuche heute, mich an eine
gemeinsam verbrachte Stunde zu erinnern, aber ich kann ihn
immer nur wie einen Schauspieler auf der Bühne sehen, ohne
Stimme und durch einen breiten Graben von mir getrennt. Im
Kopf - und in meiner Sammlung von Fotos aus jenem Winter habe ich viele Bilder von ihm bei Tätigkeiten auf den Feldern
und im Haus, aber immer mit anderen beschäftigt, nie mit mir,
fern und fremd. Vertraulich mit ihm umzugehen war unmöglich,
zwischen uns beiden klaffte ein Abgrund des Schweigens, und
meine Versuche, mit ihm Gedanken auszutauschen oder seine
Gefühle zu ergründen, prallten ab von seiner bemerkenswerten
Begabung, abwesend zu sein. Er beharrte darauf, zwischen uns
sei alles gesagt, wir hätten geheiratet, weil wir uns liebten, wozu
noch über das Offenkundige nachgrübeln. Anfangs hatte seine
Wortkargheit mich gekränkt, aber dann hatte ich gesehen, daß er
sich auch den anderen gegenüber so verhielt, ausgenommen
seine Neffen; er konnte fröhlich und zärtlich mit den Kindern
umgehen, vielleicht hätte er genauso gern wie ich eigene Kinder
gehabt, aber jeden Monat erlebten wir die gleiche Enttäuschung.
Auch darüber sprachen wir nicht, es war ein weiteres mit dem
Körper oder der Liebe verbundenes Thema, das wir aus
Schamhaftigkeit nicht anrührten. Mehrmals wollte ich ihm
sagen, wie gern ich geliebkost werden würde, aber er ging sofort
in Abwehrstellung, in seinen Augen durfte eine anständige Frau
keine derartigen Bedürfnisse haben und sie aussprechen schon
gar nicht. Bald errichteten seine Zurückhaltung, meine Scheu
und unser beider Stolz eine chinesische Mauer zwischen uns.
Ich hätte werweißwas dafür gegeben, wenn ich mit jemandem
hätte über das sprechen können, was hinter unserer
geschlossenen Tür ablief, aber meine Schwiegermutter war
ätherisch wie ein Engel, mit Susana war ich nicht sonderlich gut
befreundet, Adela war gerade erst sechzehn, und Nivea war zu
weit entfernt, und ich wagte nicht, diese Ängste schriftlich
festzuhalten. Diego und ich liebten uns weiterhin - um es denn
irgendwie zu benennen - von Zeit zu Zeit und immer genau wie
beim ersten Mal, das Zusammenleben brachte uns einander nicht
näher, aber das schmerzte nur mich, er fühlte sich sehr wohl so,
wie es mit uns lief.

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