Portrat in Sepia
gerötet, und er
trug eine mit frischem Blut bedeckte Lederschürze. Er nahm den
improvisierten Verband von Severos Fuß, löste die Aderpresse,
und dann genügte ihm ein Blick, um zu sehen, daß die Infektion
begonnen hatte; er entschloß sich zur Amputation. Kein Zweifel,
daß er in diesen Tagen viele Glieder abgetrennt hatte, denn er
zuckte nicht einmal mit der Wimper.
»Haben Sie etwas Alkohol, Soldat?« fragte er mit deutlich
ausländischem Akzent. »Wasser…«, flehte Severo mit
ausgedörrter Zunge.
»Nachher bekommen Sie Wasser. Jetzt brauche ich etwas,
was Sie ein wenig betäubt, denn hier haben wir keinen Tropfen
Alkohol mehr.« Severo deutete auf die Feldflasche. Der Arzt
zwang ihn, drei große Schlucke zu trinken, wobei er ihm
erklärte, daß mit Anästhesie nicht zu rechnen war, und
verbrauchte den Alkoholrest, um einige Stoffstreifen damit zu
tränken und seine Instrumente zu säubern, dann gab er den
Ordonnanzen einen Wink, die sich zu beiden Seiten des Tisches
aufstellten, um den Patienten festzuhalten. Dies ist meine Stunde
der Wahrheit, dachte Severo und versuchte sich Nivea
vorzustellen, um nicht mit dem Bild des Mädchens im Herzen
zu sterben, das er mit einem Bajonettstoß aufgeschlitzt hatte. Ein
Sanitäter nahm eine neue Aderpresse und befestigte sie am
Oberschenkel. Der Chirurg ergriff ein Skalpell, setzte es
zwanzig Zentimeter unter dem Knie an, und mit einer
geschickten Rundumbewegung durchschnitt er das Fleisch bis
auf das Schienbein und das Wadenbein. Severo brüllte vor
Schmerz, dann verlor er das Bewußtsein, aber die Ordonnanzen
ließen ihn nicht los, sondern drückten ihn noch entschlossener
auf den Tisch, während der Arzt mit den Fingern Haut und
Muskeln beiseite schob und die Knochen freilegte; dann nahm
er eine Säge, und mit drei sicheren Durchzügen hatte er sie
durchtrennt. Der Sanitäter zog die zerschnittenen Blutgefäße
hervor aus dem Stumpf, und der Arzt verband sie mit
unglaublicher Geschicklichkeit, dann lockerte er nach und nach
die Aderpresse, während er die Amputationswunde mit Fleisch
und Haut bedeckte und zunähte. Darauf wurde Severo rasch
verbunden und in einen Winkel des Raumes getragen, um für
den nächsten Verwundeten Platz zu machen, der schon
schreiend auf dem Tisch des Chirurgen ankam. Die ganze
Operation hatte knapp sechs Minuten gedauert. In den Tagen,
die auf die Schlacht folgten, zogen die chilenischen Truppen in
Lima ein. Den offiziellen Berichten nach, die in den
chilenischen Zeitungen veröffentlicht wurden, geschah dies in
völliger Ordnung; nach dem, was im Gedächtnis der Einwohner
Limas haftengeblieben ist, war es ein Gemetzel und schloß sich
an die Ausschreitungen der geschlagenen peruanischen Soldaten
an, die wütend waren, weil sie sich von ihren Befehlshabern
verraten fühlten. Ein Teil der Zivilbevölkerung war geflohen,
die wohlhabenden Familien suchten Zuflucht auf den Schiffen
im Hafen, in den Konsulaten und auf einem von ausländischer
Marine beschützten Strand, wo das diplomatische Corps Zelte
und Hütten aufgestellt hatte, um die Flüchtlinge unter neutralen
Flaggen aufnehmen zu können. Diejenigen, die zurückblieben,
um ihre Habe zu verteidigen, sollten sich bis zum Ende ihres
Lebens an die höllischen Szenen erinnern, die von der
betrunkenen und von den eigenen Gewalttaten aufgeputschten
Soldateska aufgeführt wurden. Sie plü nderten und setzten die
Häuser in Brand, vergewaltigten, schlugen und töteten jeden, der
ihnen in den Weg kam, eingeschlossen Frauen und Kinder und
Greise. Endlich legte ein Teil der peruanischen Regimenter die
Waffen nieder und ergab sich, aber viele Soldaten zerstreuten
sich regellos in Richtung auf das Gebirge. Zwei Tage später
verließ der peruanische General Andres Cáceres mit einem
schwerverletzten Bein die besetzte Stadt, begleitet von seiner
Frau und zwei, drei getreuen Offizieren, und verschwand auf
den Pfaden der Berge. Er hatte geschworen, er werde bis zum
letzten Atemzug weiterkämpfen.
Im Hafen von Callao befahlen die Kapitäne den
Mannschaften, die Schiffe zu verlassen, zündeten das
Pulvermagazin an und versenkten so ihre gesamte Flotte. Die
Explosionen weckten Severo del Valle, und er fand sich in
einem Winkel auf dem verschmutzten Sand des
Operationssaales liegen neben anderen Männern, die wie er
durch die Qual der Amputation gegangen waren. Jemand hatte
eine Decke über ihn gebreitet und eine Feldflasche mit Wasser
neben ihn gelegt.
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