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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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fertigbrachte, seine Kritik für
sich zu behalten, wurde er niemals aufgefordert, an der
Regierung teilzunehmen. Seine Ansichten sollten ihn bald dazu
führen, eine Dissidentengruppe zu bilden, die, wie auch Matilde
Pineda und ihr Freund von der Buchhandlung Siglo de Oro, zur
Opposition wechselte, als der Bürgerkrieg ausbrach. Mein Onkel
Severo bevorzugte mich unter den Dutzenden Neffen und
Nichten, die um ihn herumwimmelten, er nannte mich seine
Patentochter und erzählte mir, er habe mir den Nachnamen del
Valle gegeben, aber jedesmal wenn ich ihn fragte, ob er meinen
wirklichen Vater kenne, lenkte er ab: »Stellen wir uns einfach
vor, daß ich es bin.« Meiner Großmutter war das Thema
unangenehm, und wenn ich Nivea mit der Frage plagte, schickte
sie mich zu Severo. Es war ein Kreislauf ohne Ende. »Ich kann
mit so vielen Geheimnissen nicht leben, Großmutter«, sagte ich
einmal zu Paulina. »Wieso nicht? Wer eine verkorkste Kindheit
hat, entwickelt mehr Phantasie«, antwortete sie. »Oder endet
wirr im Kopf«, wagte ich vorzubringen. »Unter den del Valles
gibt es keine Übergeschnappten, Aurora, bloß Exzentriker wie
in jeder Familie, die etwas auf sich hält«, versicherte sie mir.
Señorita Pineda schwor mir, sie wisse nichts über meine
Herkunft, und fügte hinzu, das brauchte mich sowieso nicht zu
kümmern, denn es sei nicht wichtig, woher man kommt in
diesem Leben, sondern wohin man geht, aber als wir die
Mendelschen Gesetze durchnahmen, mußte sie doch zugeben,
daß es gute Gründe dafür gab, herauszufinden, wer unsere
Vorfahren waren. Und wenn mein Vater nun ein Irrer war, der
rumlief und Jungfrauen die Kehle durchschnitt?
    Die Sache begann genau an dem Tag, als ich in die Pubertät
kam. Als ich aufwachte, war mein Nachthemd naß von etwas,
das aussah wie Schokolade, ich schämte mich und lief ins Bad,
um es auszuwaschen, da entdeckte ich, daß es kein Durchfall
war, wie ich gedacht hatte: zwischen meinen Beinen war Blut.
Entsetzt rannte ic h ins Zimmer meiner Großmutter, um es ihr zu
erzählen, aber dies eine Mal fand ich sie nicht in ihrem großen
königlichen Bett, was ungewöhnlich war bei jemandem, der
immer erst mittags aufstand. Ich flog die Treppen hinunter,
gefolgt von dem aufgeregt kläffenden Caramelo, brach wie ein
durchgehendes Pferd in das Arbeitszimmer ein und rannte
geradenwegs in Severo und Paulina hinein - er in Reisekleidung
und sie in dem Morgenrock aus violettem Satin, in dem sie
immer aussah wie ein Bischof in der Karwoche.
»Ich sterbe!« schrie ich und klammerte mich an meine
    Großmutter.
»Dies ist nicht der geeignete Augenblick«, entgegnete sie
trocken.
Seit Jahren schon beklagten sich die Leute über die
Regierung, und seit vielen Monaten hörten wir sagen, Präsident
Balmaceda wolle sich zum Diktator machen und so mit der
siebenundfünfzig Jahre bestehenden Achtung vor der
Konstitution brechen. Diese Konstitution, von der Aristokratie
abgefaßt mit dem Gedanken, für immer zu regieren, erteilte der
Exekutive weitestgehende Befugnisse; aber als die Macht in die
Hände eines Mannes mit Vorstellungen fiel, die ihr unlieb
waren, rebellierte die Oberklasse. Balmaceda, ein brillanter
Mann mit modernen Ideen, hatte im Grunde nicht schlecht
regiert. Er hatte Unterricht und Bildung in Bewegung gebracht
mehr als irgendein Regierungschef zuvor, hatte den chilenischen
Salpeter gegen ausländische Gesellschaften verteidigt, hatte
Krankenhäuser und zahlreiche öffentliche Einrichtungen
geschaffen, vor allem Eisenbahnen, wenn er auch mehr anfing,
als er zu Ende brachte; Chile war militärisch eine Macht, zu
Lande wie zur See, es war ein blühendes Land und seine
Währung die solideste in ganz Lateinamerika. Dennoch verzieh
ihm die Aristokratie nicht, daß er die Mittelklasse hochkommen
ließ und mit ihr zu regieren gedachte, während der Klerus die
Trennung von Kirche und Staat ebensowenig dulden konnte wie
die Ziviltrauung an Stelle der kirchlichen und das Gesetz, das
gestattete, auf den Friedhöfen Tote jedes Glaubens zu beerdigen.
Vorher wußte man nicht, wohin mit den Leichen derer, die im
Leben entweder keine Katholiken gewesen waren oder
Atheisten und Selbstmörder und die häufig in den
Gebirgsschluchten oder im Meer landeten. Wegen dieser
Maßnahmen wandten sich die Frauen in Scharen vom
Präsidenten ab. Zwar hatten sie politisch keine Macht, führten
aber in ihren Heimen das Regiment und hatten beträchtlichen
Einfluß. Auch die

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