Portrat in Sepia
ernannt und einen gewissen Joaquin Godoy
bestimmt, den Gegenschlag zu organisieren, einen Sadisten, der
fand, »die Reichen müssen bezahlen, weil sie reich sind, die
Armen, weil sie arm sind, und die Priester muß man sowieso
alle erschießen!« Das Heer blieb regierungstreu, und was wie
eine politische Revolte ausgesehen hatte, verwandelte sich in
einen schrecklichen Bürgerkrieg, als die beiden
Waffengattungen aufeinanderstießen. Godoy, mit der
entschiedenen Unterstützung der Heerführer versehen, machte
sich daran, alle oppositionellen Kongreßangehörigen
einzusperren, deren er habhaft werden konnte. Aus war es mit
den staatsbürgerlichen Garantien, es begannen die
Haussuchungen und die systematische Folter, während der
Präsident sich in seinem Palast einschloß, angeekelt von diesen
Methoden, aber überzeugt, daß es keine anderen gab, um seine
politischen Feinde in die Knie zu zwingen. »Ich möchte von
diesen Methoden nichts wissen«, hörte man ihn mehr als einmal
sagen. Auf der Straße, an der die Buchhandlung Siglo de Oro
lag, konnte man Tag und Nacht die Schreie der Ausgepeitschten
hören. Natürlich wurde nichts davon vor den Kindern erwähnt,
aber ich erfuhr alles, denn ich kannte jeden Winkel des Hauses
und vertrieb mir die Zeit damit, die Unterhaltungen der
Erwachsenen zu belauschen, denn viel mehr hatte ich in diesen
Monaten nicht zu tun. Während draußen der Krieg tobte, lebten
wir hier drin wie in einem luxuriösen Damenstift. Meine
Großmutter Paulina nahm Nivea mit ihrem Schwarm Kinder,
Ammen und Kindermädchen auf und verrammelte alle Türen
des Hauses, sie war sicher, daß niemand es wagen würde, eine
Frau ihrer gesellschaftlichen Stellung anzugreifen, die mit einem
britischen Staatsbürger verheiratet war. Für alle Fälle pflanzte
Frederick Williams eine englische Fahne auf dem Dach auf und
ölte seine Waffen.
Severo war gerade rechtzeitig zum Kämpfen nach Norden
aufgebrochen, denn am Tag darauf wurde sein Haus durchsucht,
und wenn sie ihn angetroffen hätten, wäre er in die Zellen der
politischen Polizei gebracht worden, wo Reiche ebenso wie
Arme gefoltert wurden. Nivea war wie Severo Anhänger der
liberalen Regierung gewesen, aber sie wandelte sich zur
glühenden Gegnerin, als der Präsident seinen Nachfolger durch
Wahlbetrug einsetzen wollte und versuchte, den Kongreß zu
erledigen. In den Monaten der Revolution, während denen sie
mit einem Zwillingspärchen schwanger war und sechs Kinder
aufzog, hatte sie Zeit und Mut, in der Opposition zu wirken mit
Aktionen, die sie das Leben gekostet hätten, hätte man sie dabei
erwischt. Sie tat das hinter dem Rücken meiner Großmutter, die
uns alle nachdrücklich angewiesen hatte, uns unsichtbar zu
halten, um nicht die Aufmerksamkeit der Behörden auf uns zu
ziehen, aber mit Williams’ voller Kenntnis. Señorita Pineda
stand genau auf der entgegengesetzten Seite wie Frederick
Williams, sie war so sozialistisch, wie er monarchistisch war,
aber der Haß auf die Regierung einte sie. In einem der
Hinterzimmer, die meine Großmutter nie betrat, hatten sie mit
Hilfe von Don Pedro Tey eine kleine Druckerei eingerichtet,
und hier stellten sie revolutionäre Flugblätter und Pamphlete
her, die Matilde Pineda dann, unter dem Mantel verborgen,
mitnahm und von Haus zu Haus verteilte. Mich ließen sie
schwören, daß ich niemandem auch nur ein Wort von dem
verraten würde, was in diesem Zimmer vor sich ging, und das tat
ich auch nicht, denn das Geheimnis war für mich ein
faszinierendes Spiel, wobei ich die Gefahr nicht ahnte, die über
unserer Familie schwebte. Am Ende des Bürgerkrieges begriff
ich dann, daß diese Gefahr sehr real war, denn trotz der
hochrangigen Stellung Paulina del Valles war vor dem langen
Arm der politischen Polizei niemand sicher. Das Haus meiner
Großmutter war nicht das Sanktuarium, für das wir es gehalten
hatten, und daß sie eine Witwe mit Vermögen, Beziehungen und
einem guten Namen war, hätte sie nicht vor einer Durchsuchung
und vielleicht dem Gefängnis geschützt. Zu unserem Glück
herrschte in jenen Monaten ein erhebliches Durcheinander, und
die Tatsache, daß die Mehrheit der Bevölkerung sich gegen die
Regierung gestellt hatte, machte es unmöglich, so viele
Menschen zu überwachen. Selbst in den Reihen der Polizei gab
es Anhänger des Widerstandes, die ebendenen zur Flucht
verhalfen, die sie festnehmen sollten. In jedem Haus, wo
Señorita Pineda mit ihren Flugblättern an
Weitere Kostenlose Bücher