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PR NEO 0039 – Der König von Chittagong

PR NEO 0039 – Der König von Chittagong

Titel: PR NEO 0039 – Der König von Chittagong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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Marshall Verständnis dafür. Doch nicht während des Laufens. Es bot ihm Gelegenheit, neue Gedanken zu fassen, alte und uninteressante wegzuwerfen und mit sich selbst ins Reine zu kommen.
    Seine Überlegungen wanderten wie von selbst weg von Finanzplänen, die er zu erstellen hatte, hin zu Tatjana Michalowna. Was hatte sie für eine Bedeutung für ihn, und warum musste er andauernd an sie denken? Nutzte er sie, um Druck abzubauen, oder war sie mehr? War sie sich ihrer Rolle bewusst?
    Die Russin setzte ihren Sex-Appeal gekonnt in Szene. Und nicht nur das: Ihre Biografie ähnelte seiner, sie begegneten sich auf Augenhöhe. Sie hatten sich viel zu sagen.
    Streng genommen war er ihr Vorgesetzter. Sie hatte sich bereit erklärt, im Lakeside Institute ihre Begabungen erforschen zu lassen und sie mit Unterstützung ferronischer und irdischer Wissenschaftler zu verbessern. Tatjana unterstand seiner Obhut.
    Marshall unterdrückte einen Fluch und lief schneller. Er näherte sich einer Wachhütte, die er zum Umkehrpunkt seiner kleinen Schleife bestimmt hatte. Vier Kilometer hin, vier Kilometer zurück waren genug für diesmal. Sein enger Terminplan schrieb ihm weitere Meetings in etwa einer Stunde vor, und bis dahin musste er sich vorbereiten. Homer G. Adams würde womöglich auftauchen und ihm unangenehme Fragen über Fortschritte bei der Ausbildung der Mutanten stellen. Er war dem älteren Mann dankbar für all das, was er unternahm, um den Betrieb hier am Laufen zu halten. Aber er konnte auch durchaus unangenehm werden, wenn er der Meinung war, dass Gelder und Ressourcen verschwendet wurden.
    Der Wendepunkt war erreicht. Nun ging es zurück, zum Tempel, dessen schnörkeliger Neo-Art-Deco-Stil inmitten dieser Wüstenei ein wenig deplatziert wirkte.
    Sue machte ihm weiterhin Sorgen. Sie hatte Quiniu Soptor zurückgebracht und sich außerstande erklärt, für die Arkonidin sorgen zu können.
    Das junge Mädchen wandelte am Rand der Erschöpfung. Fulkar hatte ihm von der Begegnung mit Sue in Terrania Central erzählt. Von Zorn und Verzweiflung und Symptomen, die er so deutete, dass die Gefahr eine manisch-depressiven Phase bestand.
    Eigentlich hätte Marshall Sue für ihr Verhalten maßregeln müssen. Er hatte ihr ausdrücklich verboten, ihre Kräfte einzusetzen. Doch das Mädchen hatte längst jegliches Augenmaß verloren. Sie schätzte sich falsch ein und reagierte derzeit höchst sensibel auf jegliche Form von Kritik.
    Marshall hielt inne, beugte sich vornüber und rang nach Atem. Er hielt das Tempo nicht durch, nicht heute. Es war noch ein halber Kilometer bis zum Institut.
    Auch er war vor falscher Selbsteinschätzung nicht gefeit. Die Belastungen waren groß, und sie stiegen weiterhin an. Rings um ihn war Lärm, den nur er hören konnte und der nie verstummte. Da waren so viele unterschiedliche Gedankenfetzen. Lust, Trauer, Verzweiflung, Unsicherheit, Müdigkeit Angst ...
    Auch Wahnsinn war zu spüren. Einige der Kinder und Jugendlichen, die im Lakeside Institute eine neue Heimat gefunden hatten, brachten Psychosen mit sich. Solche, die er zu spüren begann, wenn er sich nicht ausreichend dagegen wappnete.
    Er war nicht viel besser dran als Sue Mirafiore. Am liebsten hätte er alles liegen und stehen gelassen, um zu verschwinden, Hunderte Kilometer von hier entfernt eine Jurte aufzustellen und die Gedankenruhe zu genießen.
    Er durfte nicht nachgeben! Diese Monate und Jahre brachten Umwälzungen mit sich, wie sie die Menschen wohl noch nie durchgemacht hatten. Der Kulturschock der Begegnung mit Außerirdischen wirkte gehörig nach. Leute wie er sorgten dafür, dass die Terraner den Weg ins All fanden, ohne an sich selbst zu scheitern.
    Der Pod läutete. Er zögerte. Dies war seine Zeit. Gestohlene Minuten, die er für sich allein beanspruchte.
    Doch Marshall kannte den Klingelton. Es handelte sich um einen seiner wichtigsten Schutzbefohlenen. Er klappte das Gerät auf. »Was gibt's, Sid?«
    »Du keuchst wie ein alter Mann.« Der junge Teleporter lächelte unsicher.
    »Heute fühle ich mich auch wie ein alter Mann.« Marshall drehte sich so, dass er die gewaltige Silhouette der VEAST'ARK vor sich sah. Das arkonidische Schiff ruhte auf dem nach wie vor provisorischen Landefeld am jenseitigen Ufer des Goshun-Sees – und wirkte dennoch so, als befände es sich ganz in der Nähe.
    »Du hast versprochen, mit mir zu reden!«, warf ihm Sid vor.
    »Stimmt, ich erinnere mich.« Nein, tat er nicht. »Es tut mir leid; ich hatte

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