PR TB 156 Der Löwe Von Akkad
Viele von ihnen dienten tatsächlich den
Wegelagerern; es gab Feuerstellen, zerbrochene Krüge und Reste
von Verpackungen - untrügliche Zeugen. Meine Zeichnungen, Karten
und Hinweise waren angewachsen. Sie durften niemandem in die Hände
fallen, deswegen waren sie im doppelten Leder der kniehohen Stiefel
verborgen, wasserdicht und staubgeschützt. Ich hatte bereits
einen Plan, aber noch hatte ich nicht alles erkannt. Ich mußte
den Sitz der Räuber finden: Ebla.
Mehrere Überlegungen bestimmten mein Vorgehen. Die Räuber
waren keineswegs über ein großes Gebiet verstreut. Sie
konnten sich, wenn Beute in Sicht war, schnell versammeln. Dies
geschah mit Boten, durch Signalfeuer und mit Hilfe von einfachen
Sichtverbindungen. Also war für den Erfolg der Strafexpedition
nur ein Streifen entlang der Karawanenstraße interessant, der
nach jeder Seite nicht mehr als zwei Tagesmärsche weit ins Land
hineinführte.
Die Bewohner dieser Gegend waren primitiv. Sie nutzten die
Möglichkeiten nicht aus, die sie in Wirklichkeit hatten, denn
mit der Beute - Menschen, Tiere, Wagen, Handelswaren und
Nahrungsmittel, Waffen und Sklaven - hätten sie weiterhandeln
können. Aber sie taten nichts anderes als verbrauchen. Ich hatte
oft und lang genug in Höhlen und Büschen gelegen und sie
belauscht und beobachtet. Sie schwängerten die Sklavinnen, die
Sklaven arbeiteten mit ihnen, alles vermischte sich, und übrig
blieb: die Verwahrlosung, hervorgerufen durch ein geradezu luxuriöses
Leben. Wenn ein Jahr lang die Karawanen ausblieben, würden sie
alle entweder wegziehen oder zurückfallen in die erste
Morgendämmerung der Zivilisation. Verglichen mit diesen Menschen
hier besaß ein Bauer und Hirte im Reich Akkad das Niveau eines
arkonidischen Kolonialfürsten. Ich zeichnete und notierte
weiter. Ich aß kalten Braten, lebte von Quellwasser und Beeren,
wagte es nicht, Feuer zu machen, und nur selten gönnte ich mir
einen gespeerten Fisch, den ich in einer versteckten Schlucht über
rauchlosem Feuer briet.
Eines Tages sah ich, kurz nach Sonnenaufgang, vor mir den Rauch
von vielen Feuern.
Ich hatte Ebla erreicht.
Ungeheuer prunkvolle, langgezogene Bänder entstanden.
Ununterbrochen klingelten die Bronzemeißel und die Steinhämmer.
Bilder entstanden: Sharrukin und seine Eltern. Sharrukin im
Binsenboot, den Strom hinuntertreibend. Der König, von einem
Palmengärtner beim Wasserholen entdeckt. Die Erziehung des
Sharrukin. Schließlich seine Tage und Jahre am Hof des Königs
der Stadt Kish, Urzababa, der Krieg, den der König führte
und verlor, die Revolte von Sharrukin und wenigen jungen Getreuen -
seinen heutigen Heerführern, sofern sie noch lebten. Dann die
endlose Kette der eigenen Schlachten, die Offenbarung, die ihm
Ishtar, seine göttliche Geliebte, zuteil werden ließ. Er
solle ein Reich errichten, dessen Leuchten die Ewigkeit erhellen
sollte. Auf einer Länge von zweihundertachtzig Schritten
entstand so ein Band, harter Stein, bunt bemalt, mit dünnem
Silber, Gold und Elektrum verziert.
Die riesige Mauer des Palastes wuchs, und die ersten Platten
wurden angebracht. Die Front beherrschte den Platz im innersten
Zentrum der Stadt Akkade, und wenn die Abendsonne sich in den
metallenen Flächen fing, loderte das Licht funkensprühend,
grell und majestätisch auf.
„Du bist unruhig! Du bist wie eine der Sklavinnen, die es
nicht erwarten können, wenn der Knecht vom Tränken der
Zugochsen zurückkommt!" sagte Rhai-ghur leise, aber mit
unüberhörbarer Schärfe zu Encheduana.
Sie senkte den Kopf, schwieg lange und erwiderte dann:
„Vielleicht bist du, Freund, mit Enttäuschungen
aufgewachsen. Ich nicht. Ich werde es nicht überleben, wenn
Attalan-shar nicht zurückkommt."
Rhai-ghur erkannte ihre Qual und begann hemmungslos zu fluchen.
Du weißt, zischte stechend das Extrahim, daß du keine
zweite Chance hast. Du mußt es beim ersten Versuch schaffen.
Denke daran, was noch vor dir liegt!
Ich wußte es. Ich hatte einen riesigen Kreis um Ebla
geschlagen. Dabei versteckte ich mein Pferd und schlich mich bis zu
der Mauer vor, alles beobachtend und jede Einzelheit notierend. Meine
Karten waren vollständig. Jetzt, eine Stunde etwa vor der
Morgendämmerung, lag vor mir die leere Karawanenstraße,
etwa drei Doppelstunden Fußmarsch weit war sie gefährlich,
dann erst konnte ich seitlich ausweichen.
Dreißigtausend große Schritte geradeaus, in
gestrecktem Galopp, schnell und eventuell gegen eine gewaltige
Übermacht. Hoffentlich
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