PR TB 236 Die Stadt Der Zukunft
die
computergesteuerte
Neandertalerskulptur, die er einst im Anthropologischen Institut
von Terrania gesehen hatte.
»Ist dieses Aktionskunstwerk nicht genial?« schwärmte
der Matten-Willy, während er eines seiner vier Stielaugen
neugierig auf Shark richtete. »Ist es nicht die perfekte
Darstellung des Seins unter dem Aspekt kultureller Vergänglichkeit,
durch den das Sein sogar im Seinsmoment als Teil des allumfassenden
Werdens enthüllt wird?«
»Ich hasse Kunst«, knurrte der Stämmige. »Man
sollte alle Künstler in einen Sack stecken, den Sack zubinden
und in eine stationäre Umlaufbahn schießen. Vor allem
hasse ich diese moderne Kunst. Früher ist Kunst noch Kunst
gewesen. Früher wußte man direkt.«
Sie verschwanden hinter den Stalaktiten, und ihre Stimmen
verklangen.
Dafür wurden andere Stimmen laut. Die eine kannte er; sie
gehörte MAMMA. Die andere war die einer Frau, und nach dem Klang
zu urteilen, mußte es eine bemerkenswerte Frau sein.
Shark setzte sich in Bewegung. Er mußte sich bücken, um
nicht gegen die angebissene Salami-Pizza zu stoßen, und der
würzige Duft, der von ihr ausging, ließ ihm das Wasser im
Mund zusammenlaufen.
Er zögerte.
Dann hob er eine Hand, um sich ein Stück Pizza abzubrechen.
»Wenn Sie das wagen, sind Sie ein toter Mann.«
Shark erstarrte. Langsam drehte er sich um.
Zehn Schritte von ihm entfernt, neben einer der Tropfsteinsäulen
aus Biokunststoff, stand eine junge Frau. Sie war einen Kopf kleiner
als Shark, hellblond, braungebrannt und schlank, ohne dünn zu
sein.
Bis auf ein Flimmerfeld war sie nackt.
Das Flimmerfeld hüllte ihren gebräunten Körper in
weißes, fast schmerzhaftes Gefunkel, das hin und wieder
schwächer wurde und Shark einen Blick auf ihre Schenkel, ihre
Brüste, ihren Bauch gestattete. Seine Mundhöhle wurde
trocken.
»Wie?« sagte er. »Was? Wie?«
Die Frau verzog den Mund.
»MAMMA sollte Sie besser zurück ins Heim bringen, ehe
Sie Unheil anrichten können«, fauchte sie angriffslustig.
»Was dachten Sie sich eigentlich dabei, meine unbezahlbare
Aktionsskulptur Frühstück im Abendlicht des Jupiter zu
zerstören? Oder können Sie nicht denken? Sind Sie ein
Kretin oder was?«
Die Frau sah ihn an, als hätte sich Shark soeben in eine Laus
verwandelt.
»Aktionsskulptur?« echote er.
»Gott!« Die Frau verdrehte die Augen. »Jetzt
züchtet man Papageien in menschlicher Gestalt. Wenn das mein
Urahne wüßte, würde er im Grab rotieren.«
»Ihr Urahne?«
»Dali. Salvador Dali. Nie von ihm gehört? Homers
Vergötterung? Die Wiederauferstehung des Fleisches? Die
Beharrlichkeit des Gedächtnisses?
Nein? Sie sind tatsächlich ein Kretin.«
»Ich.« Shark ballte die Fäuste. »Das
verbitte ich mir! Ich lasse mich von niemand als Kretin beschimpfen.
Vor allem nicht von einer überdrehten Schmalspurkünstlerin.
Sind Sie für diese Schweinerei hier verantwortlich?«
Er fuchtelte mit den Händen.
»MAMMA! Ich verlange, daß sich dieser Korridor sofort
wieder in einen Korridor verwandelt.«
Die Frau machte »Pah.«
»Darf ich vorstellen?« meldete sich die Stadt zu Wort.
»Bertholm Shark, Lebenskünstler, und Ziana van Dali,
Aktionskünstlerin.«
»Lebenskünstler sind Sie?« sagte van Dali
verächtlich. »Mit anderen Worten, Sie halten sich nur noch
künstlich am Leben. Und was Sie Kretin eine Schweinerei nennen,
ist der Beginn des größten Kunstwerks dieses Jahrhunderts.
Ich werde diese ganze Stadt mit meinen Händen zu einem einzigen
surrealistischen Gesamtkunstwerk formen und.«
»Warum formen Sie nicht etwas anderes mit den Händen?«
unterbrach Shark und starrte sie mit neu erwachter Lüsternheit
an.
»Das ist bei einigen Leuten mangels Masse nicht möglich«,
konterte die blonde Frau trocken. »Was halten Sie davon, wenn
Sie sich Ihr Gehirn durchspülen lassen? Bei Ihnen scheint ja
alles verstopft zu sein.«
»Sie.!« entfuhr es Shark.
»Und jetzt möchte ich nicht mehr von Ihnen belästigt
werden.« Ziana wandte sich ab. »In wenigen Minuten kommt
mich mein Vorfahre besuchen, und Frühstück im Abendlicht
des Jupiter ist noch nicht fertig.«
Shark zwinkerte verwirrt. »Ihr Vorfahre?«
»Der große Meister des Surrealismus persönlich,
Sie Null«, erklärte die Aktionskünstlerin. »Er
besucht mich jeden Morgen um fünf nach zehn und plaudert mit mir
über das Kritisch-Paranoide des Mittelmäßigen
Bürokraten mit Atmosphärekopf, der eine Schädelharfe
melkt oder über den Camembert-Effekt in seiner Beharrlichkeit
des
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