PR TB 242 Herr Der Hundert Schlachten
woher ich komme, wissen die Frauen und Männer,
wie Babylon zum erstenmal errichtet wurde. Meine Freunde haben Könige
kommen und gehen sehen. Sie erlebten, wie Reiche zu Asche zerfielen,
wie Weltreiche zerrissen wurden.«
»Haben sie gesehen, wie Götter regierten?« fragte
er herausfordernd. Er schien mir jedes Wort zu glauben. Oder
entfernte er sich innerlich bereits von der Wirklichkeit?
»Nein.«
»Besaßen die Könige das Göttergeschenk
endlosen Lebens?«
»Davon ist nichts bekannt.«
»Gab es größere Reiche als jenes, das ich
erobere?«
»Ja«, antwortete ich. Er nickte und hob den Arm. Sein
Chiton verrutschte an der Schulter. Im hellen Sonnenlicht studierte
ich die schweren Tränensäcke unter seinen Augen, die
Narben, die unter der Wirkung des Aktivators hervorragend verheilt
waren, die geplatzten Äderchen und die Bartstoppeln. Die ersten
tiefen Falten machten sein Gesicht schärfer, männlicher und
härter, zugleich aber auch träumerischer. Unzweifelhaft
beherrschten ihn bisweilen phantastische Zukunftsvisionen. Ich
begriff: Sein Weltreich würde niemals groß genug sein.
Wenn es ihm vergönnt war, würde er den Planeten beherrschen
wollen.
»Du gibst dir selbst die Antwort auf deine Fragen«,
sagte er und atmete schwer aus und ein. »Noch ist das Reich
nicht groß genug. Du selbst hast mir geraten, die Küsten
der Meere zu besetzen.«
»Das tat ich«, gab ich zu. Er lächelte mich
bittend an. Bis zum heutigen Tag hatte er es nicht gewagt, mir seine
Freundschaft anzutragen. Er blieb mißtrauisch, unsicher.
»Reite nach Susa«, bat er. »Mit deinen ehernen
Kriegern und meinen Reitern. Bereite den Palast vor und sage den
Persern, daß ich nicht als Tyrann komme.«
»Sie wissen es schon von den Babyloniern«, sagte ich.
»Um so besser. Du weißt, wo sich Darius aufhält?«
»Nein«, log ich. »Nicht genau. Das ist dein
Kampf, Alexander.«
»Der nicht zu Ende geht«, murmelte er zukunftsweisend,
schüttelte mich mit einem harten Schultergriff und ging zu
seiner Eskorte zurück. Als er um die ersten Pfeiler der Terrasse
bog, blieb er stehen. Ich folgte seinem Blick und sah Charis, die
neben einer persischen Dame ging und offensichtlich den Schatten
genoß und zuhörte. Alexander starrte meine Freundin an,
als sähe er sie zum erstenmal. Dann verbeugte er sich zögernd
und ging weiter. Charis kam auf mich zu, sah ihm lange und schweigend
nach und murmelte:
»Ich mag diesen Blick nicht, mit dem er mich angesehen hat.
Als ob seine Augen mich verbrennen würden.«
Ich legte meine Arme um sie und entgegnete leise:
»Er wünscht, daß wir nach Susa reiten und ihm
helfen, die Stadt kampflos einzunehmen.«
»Sein Weg ist noch nicht zu Ende, das Weltreich noch immer
zu klein«, fragte Charis zurück. Ich ging zwischen den
beiden Frauen durch die Allee aus steinernen Fabelwesen mit Augen aus
Edelsteinen und antwortete schulterzuckend:
»Wir werden noch einige Jahre lang mit ihm reiten. Er
beabsichtigt, viele Städte in abgelegenen Gegenden zu gründen.«
»Wahrscheinlich will er mit der Pracht von Babylon
konkurrieren.«
»Oder, wenn er erst Persepolis sieht, mit diesem Kleinod der
Perser.«
Unser weiterer Weg schien schon jetzt vorgezeichnet zu sein. Stets
in der Nähe des mächtigen Alexander, von Kampf zu Kampf,
Stadt zu Stadt, mühsam die Informationen sammelnd und
versuchend, die ersten Erkenntnisse den Menschen zu vermitteln, daß
ihre eigentliche Bestimmung der Weg zu den Sternen war. Ein langer,
anscheinend endloser Weg. und überdies beladen mit der
Verantwortung, über Leben oder Tod des makedonischen Eroberers
zu entscheiden.
8.
Alexanders Verbindungen mit Makedonien, mit Griechenland und
Thrakien, waren immer fragwürdiger geworden. Vor sechs Jahren
war der zweite Philipp ermordet worden. Vor dem Feldherrn lagen,
weitestgehend wehrlos, die letzten wichtigen Residenzen des
ehemaligen achämenidischen Weltreichs. Noch trat Alexander als
Rächer der vielfältigen Freveltaten des Xerxes auf - bald
würde er eine andere Rolle spielen müssen.
Wir ritten zügig, aber keineswegs schnell, durch die Hitze
auf Susa zu. Unsere gesamte Ausrüstung schaukelte auf den Rücken
der Maultiere.
Chatalion überholte seine Kameraden und setzte sich an die
Spitze, neben Charis und mich.
»Du erwartest einen Aufschwung der Kultur und Zivilisation,
Atalantos«,
rief er und traf genau den Punkt der Überlegungen, die ich
auch heute wieder angestellt hatte. »Welche Fortschritte sind
dir seit einem
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