PR2617-Der dunkelste aller Tage
der hinter der Flammenwand wie in einem Gefängnis kauerte. Endlich nickte sie.
»Ich glaube, ich kann in seine Vision eindringen ... Ich werde Lias Gestalt haben. Sie hat ihren Bruder oft Korbi genannt. Du kannst mich unterstützen. Egal, was geschieht, unterbrich mich nicht. Ich versuche, dich als Coperniu auszugeben, das war Korbinians Vater.«
»Und wenn es nicht klappt?«
»Dann verbrennen wir womöglich mit ihm. Wie real seine Visionen sein können, haben wir doch schon erfahren.«
*
»Korbi ...«
Er hörte den Ruf, aber er reagierte nicht darauf. Ringsum tobte das Flammenmeer; es machte ihm Angst und hatte doch etwas Vertrautes, von dem er sich nicht lösen konnte. Er versuchte zu helfen, das Feuer zu löschen; er konnte es nicht. Er saß nur da, starrte in das brennende Zimmer und spürte, dass Lia in wachsender Verzweiflung durch das Haus irrte. Dass sie ihn suchte. Er hätte nur zurückgehen müssen und mit ihr diesen schrecklichen Ort verlassen. Er konnte es nicht, und Lia musste darunter leiden.
»Korbi ...«
Er lauschte. Der Ruf war nahe, anders als in seiner Erinnerung.
»Ich bin hier, bei dir. Warum willst du mich denn nicht sehen? Was habe ich dir getan ...«
»Du? Mir?« Ruckartig hob er den Kopf. Ein Lächeln stahl sich in seinen Geist, doch nur für die Dauer eines erschreckten Atemzugs.
Eine Vision, sagte er sich. Lia hastete auf der Suche nach ihm durch das Haus; sie hatte schon in der Küche nachgesehen und ihn nicht gefunden – sie würde nicht hierher zurückkommen.
»Das redest du dir ein, Korbi!« Tief drang die Stimme in ihn ein. Sie ließ nicht zu, dass er sich zurückzog. »Schau her! Mach endlich deine Augen auf! Unser Vater ist hier, und ich bin hier. Wie lange willst du uns eigentlich warten lassen?«
Warten?
Lia hatte recht.
Coperniu war auch da; er wirkte besorgt, ließ sich in die Hocke nieder, wie er es immer getan hatte, um mit Korbinian auf einer Höhe zu sein.
»Es wird Zeit, dass du mit uns gehst! Das Haus wird bis auf die Grundmauern niederbrennen, und wir werden alle drei umkommen.«
»Warum zögerst du?«, fragte Lia. »Hast du Angst? Vor dem Feuer? Wir sind bei dir und helfen dir hinaus.«
Ich habe Angst, ja.
»Es ist meine Schuld!«, rief er. »Ich habe die Flammen entfacht, aber ich konnte sie nicht mehr bändigen. Alles ist meine Schuld. Dass du fast umgekommen bist, Lia, dass unsere Eltern nicht mehr leben und ...«
»Korbinian!« Sie brüllte seinen Namen. So heftig, dass er zurückprallte und das Gleichgewicht verlor. Mit beiden Händen musste er sich auffangen. Funken stoben in seiner Nähe auf; er wollte, er hätte mit ihnen entfliehen können.
»Willst du für immer trauern? Für etwas, für das du keine Verantwortung hast?«, fragte seine Schwester. »Oder willst du leben, Korbi? Ich lebe, aber du machst es mir schwer, mein Leben zu genießen.«
»Dann trauere ich«, sagte er heftig.
»Warum machst du es uns beiden so schwer?«
Er brauchte nicht zu überlegen. Die Antwort kam wie von selbst über seine Lippen, als hätte sie schon ewig da gelegen. »Wenn ich es könnte, würde ich für dich sterben. Ich möchte verbrennen, könnte ich das ungeschehen machen, was dir zugestoßen ist. Aber ich kann es nicht, das ist unmöglich. Nur hier in meinem Raum kann ich dich beschützen.«
»Damit ich immer wieder durch das brennende Haus irre und dich suche? Du weißt gar nicht, wie sehr du mich damit quälst. Ich wünsche mir, dass es endlich vorbei ist.«
Er schwieg trotzig.
Und wenn sie recht hatte?
Lia kniete sich zwischen die brennenden Dielen. Er wollte aufschreien, als er das sah. Jeden Moment konnten die Flammen nach ihrer Kleidung greifen.
»Ich bin dir nicht böse, Korbi«, sagte seine Zwillingsschwester. »Ich bin doch bei dir. Sag selbst: Wäre ich wirklich da, wenn ich Grund hätte, dir böse zu sein? Ich bin dir dankbar für deinen Schutz. Aber du machst mich zur Gefangenen. Wir beide sind Gefangene dieses brennenden Hauses.«
Aber nicht mehr lange!
Was Lia sagte, verwirrte Korbinian. Und Coperniu war auch noch da und machte eine zustimmende Geste. Stradprais hatte doch schon mit der Befreiung begonnen. Warum wusste seine Schwester nichts davon? Sollte er es ihr sagen? Natürlich würde sie sich darüber freuen. Unsinn, sie würde glücklich sein, und eigentlich musste sie in Jubel ausbrechen.
Aber irgendwie ... Er schreckte davor zurück, ihr solche Hoffnung zu machen, wenn es Tage dauern würde, bis Stradprais wirklich
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