Pretty Little Liars - Teuflisch: Band 5
Melissa irgendwann aufgewacht und hatte entdeckt, dass Ian verschwunden war. Sie hatte Angst gehabt, das zuzugeben, da sie und Ian besoffen gewesen waren, und die kleine Miss Perfekt, die Abschiedsrednerin, machte doch keine so schlimmen Sachen wie zu saufen und das Bett mit ihrem Freund zu teilen. Aber Melissa war heute Morgen irgendwie trotzdem netter als sonst, und das ließ in Spencers Kopf kleine Alarmglocken schrillen.
Melissa nahm einen langen Schluck von ihrem Kaffee und sah Spencer aufmerksam an. »Hast du die Nachrichten gehört?
Sie sagen, es gibt nicht genug Beweise, um Ian zu verurteilen. «
Spencers Muskeln spannten sich unwillkürlich. »Ich habe heute Morgen einen Bericht darüber gehört.« Sie hatte aber auch eine Gegendarstellung von Jackson Hughes, dem Bezirksstaatsanwalt von Rosewood gehört, der sagte, es gäbe jede Menge Beweise, und die Menschen von Rosewood verdienten es, dass dieses schreckliche Verbrechen endlich gesühnt wurde. Spencer und ihre ehemals besten Freundinnen hatten sich unzählige Male mit Mr Hughes getroffen und die Verhandlung besprochen. Spencer hatte sich noch öfter als die anderen mit ihm getroffen, denn laut Mr Hughes war ihre Aussage – dass sie Ian und Ali einen Sekundenbruchteil, bevor Ali verschwand, zusammen gesehen hatte – das wichtigste Beweisstück von allen. Er war mit ihr durchgegangen, welche Fragen man ihr stellen würde, wie sie antworten sollte, wie sie sich verhalten und was sie vermeiden musste. Spencer kam das Ganze vor wie ein Theaterstück, in dem sie eine Rolle zu spielen hatte – allerdings würde am Ende kein Beifall geklatscht, sondern ein Mensch für den Rest seines Lebens ins Gefängnis gesteckt werden.
Melissa schniefte leise, und Spencer schaute zu ihr. Ihre Schwester hatte den Blick gesenkt und die Lippen besorgt zusammengepresst. »Was?«, fragte Spencer misstrauisch. Die Alarmglocken in ihrem Kopf wurden immer lauter. »Du weißt schon, warum alle sagen, dass es nicht genügend Beweismittel gibt, oder?«, fragte Melissa leise.
Spencer schüttelte den Kopf.
»Wegen der Goldenen Orchidee.« Melissa sah sie aus dem Augenwinkel an. »Du hast über den Aufsatz gelogen. Sie sind sich also nicht sicher, ob du … wirklich vertrauenswürdig bist.«
Spencers Kehle wurde eng. »Aber das ist was völlig anderes!«
Melissa presste die Lippen zusammen und starrte aus dem Fenster.
»Du glaubst mir doch, oder?«, fragte Spencer drängend.
Sie hatte sich lange Zeit an gar nichts erinnert, was in der Nacht von Alis Verschwinden passiert war. Dann kamen kleine Erinnerungsfragmente zurück, eins nach dem anderen. Ihre letzte Erinnerung waren zwei schwach beleuchtete Gestalten im Wald – eine war Ali, die andere definitiv Ian. »Ich weiß, was ich gesehen habe«, fuhr Spencer fort. »Ian war dort.«
»Es ist nur Gerede«, murmelte Melissa. Dann schaute sie noch einmal zu Spencer und biss sich auf die Lippe. »Da ist noch etwas.« Sie schluckte. »Ian hat mich … gestern Abend angerufen. «
»Aus dem Gefängnis?« Spence fühlte sich genauso wie damals, als Melissa sie von der großen Eiche in ihrem Hintergarten geschubst hatte – geschockt und dann von stechenden Schmerzen überwältigt. »Wa…was hat er gesagt?«
Im Flur war es so still, dass Spencer Melissa schwer schlucken hörte. »Na ja, seine Mom ist schwer krank.«
»Krank … inwiefern?«
»Sie hat Krebs, aber ich weiß nicht, was für einen. Ian ist am Boden zerstört. Er und seine Mutter stehen sich sehr nahe, und er hat Angst, dass seine Verhaftung und die Verhandlung den Krebs ausgelöst haben.«
Spencer zupfte apathisch einen Fussel von ihrem Kaschmirmantel. Ian hatte sich die Verhandlung selbst eingebrockt.
Melissa räusperte sich und sah sie mit großen, rot geränderten Augen an. »Er versteht nicht, warum wir ihm das antun, Spence. Er hat uns angefleht, nicht gegen ihn auszusagen – er
wiederholte immer wieder, alles sei ein Missverständnis und er habe sie nicht getötet. Er klang so … verzweifelt.«
Spencers Mund klappte auf. »Willst du damit sagen, dass du am Freitag nicht gegen ihn aussagen wirst?«
In Melissas Schwanenhals zuckte eine Ader. Sie nestelte an ihrer Tiffany-Schlüsselkette. »Ich komm einfach nicht drüber weg, das ist alles. Wenn Ian es wirklich getan hat, habe ich überhaupt nichts davon geahnt, obwohl wir damals zusammen waren. Wie ist das möglich?«
Spencer nickte, plötzlich total erschöpft. Trotz allem verstand sie Melissas Blickwinkel.
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