Pringle in Trouble
Gedanken
versunken, daß sie ihn gar nicht hörte. Er mußte sie ein zweites Mal
ansprechen.
«Ich breche immer so gegen acht Uhr
auf.»
Er wollte gerade protestieren und ihr
erklären, daß halb zehn wesentlich menschlicher wäre, als ihm einfiel, daß er
es dringend nötig hatte, wieder fit zu werden. Nach Hughs ungehörigem Auftritt
im Speisesaal hatte er hinterher noch mit Mrs. Willoughby gesprochen und ihr
erklärt, wie absolut lebenswichtig es sei, daß er, um seine gegenwärtige
Lebenskrise meistern und der unbändigen Konkurrenz bei der BBC standhalten zu
können, physisch und psychisch seine alte Vitalität wiederfände. Und prompt
hatte sie ihn daran erinnert, daß er doch morgen joggen wolle, oder? Er fand
zwar, daß es andere, angenehmere Wege geben müsse, sich zu regenerieren, aber
er fügte sich. Was blieb ihm auch anderes übrig? Er würde kämpfen müssen, um
seinen Platz im Programm und einen Teil des Budgets wiederzugewinnen, sonst sah
die Zukunft für ihn trübe aus.
Gelangweilt schnitt er Miss Brown, die
angefangen hatte, die Freuden des morgendlichen Joggings zu schildern, das Wort
ab: «Also bis dann, ich werde beim Morgengrauen aufstehen.» Er beugte sich über
ihre Hand, doch als er ihre Fingernägel sah, zog er den Kopf schnell wieder
zurück. «A toute à l’heure, mademoiselle. Bonne nuit, beaux rêves», sagte er und trollte sich. Wenn er bloß nicht so hungrig wäre!
Miss Fawcett ließ auf ihrem Zimmer den
Tag Revue passieren. Bei dem Gedanken an Jonathan schoß ihr erneut das
Adrenalin in die Adern. Es war erst ein paar Stunden her, da hatte sie seine
Augen gebadet, ihn getröstet und, während Mrs. Ollerenshaw ihm Augentropfen
verabreicht hatte, seine Hand gehalten. Und nachdem alles vorbei war, hatte er
den Arm um sie gelegt, sie auf die Stirn geküßt und ihr feierlich erklärt, daß
er mit ihrer Hilfe versuchen wolle, ein neuer Mensch zu werden.
Was im Augenblick in Nummer zwei
vorging, mochte sie sich dagegen nicht näher ausmalen. Ekelhaft... Widerlich...
Schmutzig! Doch als sie vorhin im Speisesaal versucht hatte, Jonathan ihre
diesbezüglichen Gefühle mitzuteilen, hatte er sie scharf unterbrochen. Was für
ein nobler, großzügiger Mensch er doch war! Er hatte allen gesagt, daß Clarissa
schließlich ihr eigener Herr sei. Wenn sie es für richtig halte, sich an einen
alten Mann wegzuwerfen, dann bitte, er werde sich hüten, sich da einzumischen.
Miss Fawcett war ein wenig erstaunt gewesen, daß er Hugh als «alten Mann»
apostrophiert hatte, aber er hatte auf dieser Bezeichnung bestanden. Und dabei
war dieser Mann noch Arzt! Und gab es nicht so etwas wie einen Eid des
Hippokrates? Miss Fawcetts Vorstellungen, sowohl was den Eid als was den
Sexualakt an sich anging, waren wenig konkret, aber beide sollten ihrer Meinung
nach dem Ideal von Reinheit und Keuschheit verpflichtet sein. So wie Jonathans
Kuß vorhin, die für sie einem Gelöbnis gleichkam — unauflöslich und bindend.
Edith Rees hoffte derweil, daß Clarissa
glücklich sein möge — wenigstens für diese Nacht. Sie selbst hatte nie
erfahren, was es heißt, geliebt zu werden. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte
sie angenommen, daß George sie liebe, und sich deswegen von Harold getrennt.
Aber es war ein Irrtum gewesen. Es hatte Jahre gedauert, bis sie dann endlich
auch George losgeworden war. Sie nahm an, daß Hugh nur eine Art Zwischenspiel
in Clarissas Leben sein würde, und hoffte nur, daß es für sie eine
befriedigende Erfahrung sein möge. Besser als Jonathan war er sicher allemal.
Miss Brown war ebenfalls noch hellwach.
Wie ärgerlich, dachte sie, auch hier wieder mit Problemen konfrontiert zu
werden; sie störten den geregelten Tagesablauf, Und außerdem war sie es
überdrüssig, noch länger mit Mrs. Arburthnot am selben Tisch sitzen zu müssen.
Es war das erste Mal, daß ihre Besuche auf Aquitaine in dieselbe Zeit
fielen, und sie würde zusehen, daß es auch das letzte Mal war. Am besten, sie
sprach mit Mrs. Willoughby, die würde sie verstehen. Und was jetzt? Schafe
zählen kam nicht in Frage — jedenfalls nicht, während sie noch auf der Nüsse-und-Früchte-Diät
war.
Es gab noch jemanden, der in dieser
Nacht keinen Schlaf fand. Ihre Gedanken in Aufruhr, starrte sie angespannt in
den Spiegel. War es die Sache wert? Sie lachte nervös. Das Risiko, das sie
einging, war beträchtlich. Ihr Spiegelbild gab ihr das Lachen lautlos zurück
und schien sie zu drängen — nur zu, hab Mut! Leise öffnete
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