Prinzessin auf den zweiten Blick
Calista, der strategisch günstig auf einer Anhöhe lag, von wo aus man den geschäftigen Hafen von Aquila überblicken konnte. Ihre Mutter hatte sie einmal zum traditionellen Flaggenfest dorthin mitgenommen, Calistas höchstem nationalen Feiertag.
Was für ein wundervoller Ausflug das gewesen war, nur sie beide … an ihrem letzten gemeinsamen Tag vor dem unerwarteten Tod ihrer Mutter. Vielleicht war er deshalb so tief in ihrer Erinnerung verankert.
Die Straßen waren überfüllt mit fröhlichen Menschen aus allen Landesteilen. Sie schwenkten Flaggen und drängten sich an den Straßenrändern, um die königliche Prozession besser verfolgen zu können.
Als unbedarftes Mädchen vom Land hatte Eleni schon Tage vorher kaum schlafen können vor Aufregung. Sie durfte ihre beste Tunika mit passender Hose anziehen. In ihr dickes langes Haar hatte ihre Mutter ein Band in der Farbe ihrer Augen eingeflochten. Und später, unter einem der Schatten spendenden Feigenbäume, die den Weg säumten, fütterte sie ihre kleine Tochter mit gezuckerten Mandeln und getrockneten Honigmelonen. Dazu tranken sie süßen Granatapfelsaft und lauschten dem Sänger, der ein vertontes Gedicht zu Ehren der königlichen Familie vortrug.
Als die dann an ihnen vorbeidefilierte, dachte Eleni, wie heiter und gelassen Königin Anya aussah und was für eine wundervolle Frau sie sein musste, wenn sie bereit gewesen war, Scheich Ashrafs sieben mutterlose Kinder zu adoptieren.
Sieben! Man stelle sich das nur vor!
Und dann erinnerte sie sich noch daran, dass ihr Blick wie magisch von dem jungen, draufgängerisch wirkenden Prinzen angezogen wurde und sie sich noch wunderte, warum sein Zwillingsbruder nirgendwo zu sehen gewesen war.
Und nun fand sie sich, in einem seltsam unwirklichen Gefühl gefangen, vor dem in Blau und Gold gehaltenen Palast wieder, der in der Nachmittagssonne glitzerte. Wer hätte gedacht, dass sie – Eleni Lakis – einmal vor Kaliqs prachtvollem Heim stehen würde? Vom Scheich persönlich als sein Stallmädchen eingestellt?
„Man wird dir jetzt deine Unterkunft zeigen“, eröffnete ihr Kaliqs Bodyguard, doch Eleni schüttelte den Kopf.
„Sehr freundlich, aber das hat noch Zeit“, entgegnete sie lächelnd. „Erst muss ich Nabat an sein neues Heim gewöhnen.“
„Das kann einer der Stalljungen übernehmen.“
„Nein.“ Eleni zeigte sich unbeirrt. Erstens war sie sich ihrer Verantwortung für ihren Liebling sehr bewusst. Dann wollte sie auch sicherstellen, dass Kaliq niemals würde in Zweifel ziehen können, wie wichtig sie für Nabats Wohlergehen war. Denn wo sollte sie bleiben, falls sie sich aus irgendeinem Grund sein Missfallen zuzog?
Ob er sie wieder zu ihrem Vater zurückschicken würde? Eleni schauderte.
Nein, so grausam war er sicher nicht. Ihm konnte kaum verborgen geblieben sein, wie erleichtert sie gewesen war, dass er sie aus ihrer hoffnungslosen Lage ohne echte Zukunftsaussichten herausgeholt hatte.
Oder deutete sie zu viel in die ganze Sache hinein? Egal. Sie würde sich jedenfalls loyal und dankbar zeigen … im Morgengrauen aufstehen und sich so unentbehrlich machen, dass der Prinz sich fragen würde, wie er je ohne sie hatte zurechtkommen können.
„Das muss ich selbst übernehmen“, teilte sie dem Bodyguard mit fester Stimme mit.
Der zuckte nur mit den Schultern. „Gut. In etwa einer halben Stunde komme ich mit einem der Dienstmädchen zurück, das dir dann dein Quartier zeigen wird.“
Eleni hörte ihm schon gar nicht mehr zu, weil sie absolut fasziniert und überwältigt von dem riesigen Stallkomplex war, der zum Palast gehörte. Hier gab es alles, wovon ein Pferd nur träumen konnte – Platz, Komfort und Sicherheit.
Und zum ersten Mal verspürte sie in ihrem Innern auch für Nabat und sein zukünftiges Leben Freude und Zufriedenheit.
Nachdem sie ihn abgesattelt und trocken gerieben hatte, versorgte sie den Hengst mit Heu und Wasser. Gerade als sie ihm noch eine Pferdedecke über den Rücken legte, hörte sie hinter sich Schritte. Während Eleni sich umwandte, spürte sie ein sanftes Kribbeln im Nacken. Ihr Instinkt hatte sie nicht getrogen. Es war Kaliq, der lässig im Eingang lehnte.
Gegen die Sonne wirkte seine hohe, kraftvolle Gestalt noch eindrucksvoller und fast beängstigend.
Eleni fühlte, wie ihr Herz in einem verrückten Wirbel schlug, und verspürte den Drang, die Lider zu senken. Einmal, weil es eine anerzogene Reaktion in der Gegenwart eines Prinzen war, aber auch, um dem
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