Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
ausgeschickt worden waren, um Werbung zu machen. Sie hatten in der ganzen Umgebung Rasseln geschwungen und mit lauten Rufen auf die Vorstellung hingewiesen. Aber als sie zurückkehrten, blickten sie enttäuscht auf die Handvoll Leute, die sich eingefunden hatte. Neben Ola saßen die beiden Frauen mit den Geweihen. Während sie die Sängerin in ein Gespräch voll dröhnenden Gelächters verwickelten, beachteten sie Wolf keine Sekunde lang. Vor ihnen hatte sich ein Zwillingspaar platziert, das so eigentümlich war, dass Skaia gar nicht aufhören konnte, es zu betrachten. Sicher, beide Männer hatten die gleichen wachen Augen, den gleichen roten Haarschopf, ein dickes Muttermal auf dem linken Nasenflügel und ein gutmütiges Lächeln auf den Lippen ― doch während eben diese Lippen bei dem einen ein dominierender Akzent mitten im ausgemergelten Gesicht waren, verschwanden sie bei dem anderen fast in den Massen aufgedunsenen Fleisches. Der eine ein Spargel, der andere eine Dampfnudel. Die drei Besucher, die Schlucker und Moll noch im Schlepptau hatten, drängelten sich eng aneinander in die zweite Reihe.
Die Aufführung kam schwer in Gang. Erst betete Zettel einen Prolog herunter, in dem er darauf hinwies, dass niemand fürchten müsse, es käme jemand zu Schaden. Selbst wenn es so aussähe, als würde eine Figur sterben, sei dies nur die hohe Kunst der Schauspielerei. Keiner klatschte, als er den Platz für die erste Szene räumte. Ein Scheinwerfer mit dezentem Silberlicht folgte den Akteuren durch eine Handlung, deren tieferer Sinn Skaia verschlossen blieb: Der Hahn, auf der Suche nach einem übermannshohen goldenen Ei, stolperte durch das Labyrinth, traf aber nur auf ein Nest voller Vögelchen, die ihm sogleich etwas vortanzten. Während er damit seine Zeit vertat, schlugen das Schwein und die Ziege auf das von ihnen gefundene Ei ein, weil sie sein „innerstes Geheimnis“ herausfinden wollten. Als das Schwein sich zum Ausbrüten entschloss, weil das Ei mit roher Gewalt nicht zu knacken war, mühten sich die beiden minutenlang vergebens, die Spitze des Eis zu erklimmen. Dass die Szene lustig gemeint war, wurde Skaia erst klar, als die Zwillinge schräg hinter ihr prustend herausplatzten. Auch alle anderen fielen ein ins Gelächter. Mikolo flüsterte noch „Oh nein“, dann lachte er ― genauso wie Skaia. Sie wurden bestrahlt von rotem Scheinwerfer-Licht, das durch die Reihen lief und für einen Moment auf ihnen ruhte.
Dafür brauchte Papa also die bunten Lichter. Wenn das Schauspiel selbst die Leute nicht zum Lachen oder Weinen brachte, half er nach. Höchstpersönlich schwenkte der Prinzipal die Lampen, wenn das Publikum reagieren sollte. Bald ängstigten Bluttropfen, die aus den Pappmascheewänden quollen, die blau angestrahlten Besucher. Im violetten Licht heulten sie auf, als der Hahn in einen Rechen mit vergifteten Zinken trat und sterbend niedersank. Das Ei platzte irgendwann von selbst, und heraus trat eine Fee. Eine Szene, die im Allgemeinen sehr gelb und äußerst überrascht wahrgenommen wurde. Orangene Farbe wanderte über die Reihen, als sich alle gespannt zu fragen schienen, wer den Kürzeren ziehen würde: Schwein und Ziege oder die Fee? Gelächter verfolgte die beiden tierischen Bösewichter, als sie in Schiege und Zwein verwandelt wurden, und Verblüffung machte sich breit, als die Fee mit einem Kuss den Hahn wieder zum Leben erweckte, die Federn von ihm abfielen und einen Jüngling zum Vorschein kommen ließen. „Das innerste Geheimnis“, schloss er, „ist die Macht der Gefühle“. Diese Macht hatte inzwischen auch das Publikum in einer derartig hohen Dosis abbekommen, dass es vor Begeisterung tobte.
Papa applaudierte seinen Darstellern Schnauz, Schnock und Squenz und umarmte die Fee Tabbi. Dem Küken-Ballett tätschelte er über die Köpfe. Doch unter dem bohrenden Blick von Gura wurde er rot. Schnell drehte er den Kopf weg und machte sich daran, die Scheinwerfer auszuknipsen.
Gura achtete genau darauf, dass die Kleinen nicht allzu lange durch die Gegend tobten, auch wenn den meisten Ensemblemitgliedern übermüdete Papageni viel lieber gewesen wären als ausgeschlafene. Denn sie hatten nichts als Unsinn im Kopf. Kam ein Schauspieler nicht in die Ärmel seines Kostüms, weil sie zusammengeknotet waren, schimpfte er auf die Federkinder. Wer auf einen wie absichtslos herumliegenden Jonglierball trat und zu Boden plumpste, hörte sie kichern. Und flüsterte eine Stimme bei der Probe
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