Prinzessinnensöckchen (German Edition)
vielleicht schon auf dem Seziertisch der Pathologie lag. Wie das ablief, wusste Carmen nicht.
Sei nicht blöd, sagte sie sich, ruf die Polizei an. Warum ging sie dann aber zu Emily, drückte deren Kopf an ihren Bauch und sagte: »Du kannst hier schlafen, kein Problem. Ich stelle den Wecker auf halb vier, dann stehen wir auf, frühstücken und ich fahr dich dann heim. Kommst du unbemerkt in dein Zimmer? Oder müssen wir früher los? Oder schaut deine Mum vor dem Schlafengehen noch mal nach dir?«
»Nein«, schüttelte Emily den Kopf, »die pennt vor dem Fernseher ein und wenn sie wach wird, geht sie gleich ins Bett. Sie schläft unten. Ja, doch, das ist früh genug.«
Wenigstens hatten sie einen Plan für die nächsten Stunden. Keinen besonders guten, aber einen Plan.
Carmen konnte nicht schlafen. Sie lag auf der unbequemen Couch, versuchte ihre Gedanken zu ordnen, was aber von Anfang an ein aussichtsloses Unterfangen war. Fast wünschte sie sich, Köhler würde eine seiner Schmäh- und Flehmails schicken, sogar auf ein Zeichen von Maximilian hätte sie positiv reagiert. Auf ein Zeichen aus der normalen, so langweiligen Welt halt.
Aber niemand tat ihr diesen Gefallen. Sie starrte gegen die Decke und blieb in diesem Albtraum. Dann schlief sie ein.
23
Emily sah blass aus, aber wenigstens aß sie ein Honigbrot und trank Kakao. »Meine Haare«, jammerte sie, nachdem Carmen sie geweckt hatte, als sie schlaftrunken über den Flur kroch und einen Blick in den großen Spiegel warf. Gut so, dachte Carmen. Wenn Mädchen den Zustand ihrer Haare für die größtmögliche Katastrophe halten, sind sie auf dem besten Wege, wieder normal zu werden.
Irgendwie bekamen sie das mit Emilys Haaren doch noch hin. Ein bisschen Schaum wirkte Wunder, das Mädchen lächelte sogar, als ihm Carmen die lange Mähne teilte und Zöpfe vorschlug. »Wie heißen Sie eigentlich?« fragte sie. »Carmen. Und weil ich die Ältere von uns beiden bin, sagen wir jetzt Du zueinander. Ok?«
Sie fuhren durch die Dunkelheit. Carmen hatte sich einen Plan zurecht gelegt, sich selbst gewundert, dass sie trotz der Müdigkeit, die auch vor drei Tassen starkem Kaffee nicht gewichen war, einen halbwegs klaren Gedanken hatte fassen können. Sie würde Emily jetzt nach Hause bringen, diese sich in ihr Schlafzimmer schleichen. Carmen unweit des Hauses parken, aufpassen. Kurz vor halb acht käme Emily aus dem Haus, um zur Schule zu gehen. Würde sie aber nicht, sondern mit Carmen wieder in die Stadt zurückfahren. Ich muss aufpassen, dass uns niemand folgt, prägte sich Carmen ein. Ihre Wohnung hatte Sicherheitsschlösser, noch von den Vormietern. Emily würde niemandem die Tür öffnen, wenn Carmen weg war, um ihren Job im Café zu erledigen. Ging leider nicht anders.
Dort wären die Vorkommnisse bei der alten Scheune gewiss schon Gesprächsthema Nummer eins. Und dann? Abwarten. Neu überlegen. Improvisieren.
»Ok«, sagte Emily und öffnete die Wagentür. »Und danke für alles.« Sie beugte sich zu Carmen und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, sprang dann schnell aus dem Auto, lief auf die andere Straßenseite. Ihre Kleider sahen mitgenommen aus, sie selbst aber wirkte agil, drehte sich um, winkte kurz. Einige Sekunden später war sie hinter dem Haus verschwunden. Und noch eine weitere Minute verging, bis Emilys Gesicht hinter der Fensterscheibe ihres Zimmers erschien und ein Daumen in die Luft gereckt wurde. War also alles gut gegangen.
Dass sie ihr Portemonnaie vergessen hatte, bemerkte Carmen erst, als sie nachschauen wollte, ob sie noch genügend Tankgeld besaß. Höchst ärgerlich. Gott sei Dank fand sich ein Zehner im Handschuhfach. Es war kurz nach fünf.
Und zwanzig vor sieben, als sie zwei kleine Jungs, die mit ihren Fahrrädern vorbeiradelten und sich Beschimpfungen zuriefen, aus dem Schlaf rissen. Carmen stieg aus und vertrat sich etwas die Beine, sah zu dem Haus hinüber, im Untergeschoss brannte Licht. Wahrscheinlich mühte sich Emily gerade mit ihrem zweiten Frühstück an diesem Morgen ab.
Pünktlich um halb acht trat sie auf die Straße. Ein hübsches, adrett gekleidetes Mädchen, die Umhängetasche mit den Schulsachen lässig vor dem Bauch pendelnd. Carmen sah in den Rückspiegel, fuhr langsam an, beobachtete. Sie bog nach rechts in die Hauptstraße, hielt nach zwanzig Metern am Bürgersteig, ließ den Motor laufen, sah wieder in den Rückspiegel. Es herrschte reger Verkehr, die Berufspendler waren unterwegs. Die Beifahrertür wurde
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