Private Dancer
an, bis der Mann etwas zu mir sprach, was ich nicht verstehen konnte. Er hielt seine Hand vor den Mund, als könne er nicht fassen was grade passierte. Ich nahm die übrigen beiden Tüten und machte ihm begreiflich, dass er mir aus dem Hinterhof folgen sollte. Wenn uns irgendjemand vom Restaurant sehen sollte, wäre die Sache eskaliert, und jeder, der an diesem Abend versucht hätte mich aufzuhalten, den beiden diese Lebensmittel zu sichern, wäre im Krankenhaus gelandet (vor allem Ferdinand), dessen war ich mir sicher. Der Mann lief mir voraus, einige hundert Meter folgte ich ihm durch die Straßen. Ihm war wohl klar, dass es sich hierbei nicht um eine Spende des Restaurants handeln konnte und ich war erstaunt über sein Tempo. Immer wieder wiederholte er die Worte, die ich nicht verstand, deren Aussprache ich mir aber merken wollte, um später heraus zu finden, was er mir sagen wollte. „Kössenem borateu” (so hörte sich das jedenfalls an, wahrscheinlich schreibt man es ganz anders). Am Ufer der Donau trafen wir auf zwei junge Männer, die etwas jünger als ich sein mussten. Sie hatten eine Schubkarre dabei, in der sie leere Pfandflaschen lagerten. Der alte Mann lud seine Tüte darauf und rief den Jungs irgendetwas entgegen. Sie sahen ungläubig nach dem Inhalt der Tüte, sahen mich kurz an und drückten mir dann kräftig die Hand. Ich lächelte und freute mich darüber, dass sie alle so nett und glücklich waren. Ich hatte wieder Tränen in den Augen, diesmal aber aus einem anderen Grund und diesmal war ich nicht alleine damit…
„Holnop Alemania”, sagte ich auf mich zeigend zu dem Mann und hoffte, er würde verstehen, dass ich zurück nach Deutschland gehen würde und das hier eine einmalige Sache und ein Geheimnis bleiben musste. Er nickte, drückte meine Hand ,wiederholte ein letztes Mal seinen Spruch und lief mit den Jungs und dem kleinen Mädchen in die Nacht.
Es dauerte ein paar Minuten, bis ich den Weg zurück gefunden hatte. Niemand hatte mich vermisst. Das Personal hatte wohl gedacht, ich hätte bereits Feierabend gemacht und Ferdinand saß mit seinen Freunden an seinem gewohnten Tisch im Restaurant. Rosemarie sah mich ein wenig besorgt an, als ich teilnahmslos und grübelnd neben ihr stand. „Was ist los?” fragte sie.
„Nichts… gar nichts… was bedeutet kössenem borateu ?” Rosemarie überlegte kurz: „Dein ungarisches Sprechen ist so gut wie mein chinesisch!”
„Was? Rosemarie, im Ernst. Was heißt das? Ich will es gerne wissen.”
„Wer hat das denn gesagt?” wollte sie wissen, aber ich antwortete nicht. Sie lächelte als sie merkte, dass es mir wirklich wichtig war, die Worte übersetzt zu bekommen. „Danke, Freund.”
Ich lächelte und ein paar Minuten sagten wir nichts. Ich sah ihr bei der Arbeit zu. Wie sie sich beeilte, sich bemühte alles richtig zu machen. Jeden Tag, an dem sie hier war, immer. „Rosemarie, ihr solltet eine Revolution starten! Ihr alle! Alle ungarischen Bürger!” Sie stoppte ihre Arbeit und sah mich ernst an. “Isch weiß, Peter”, sagte sie und arbeitete weiter.
Ich verließ die Küche und ging zu Ferdinand. Mein Blick verriet ihm, dass etwas nicht stimmte.
„Was hast du Peter?”
„Ich habe erfahren, dass die Angestellten ihr Trinkgeld nicht behalten dürfen. Und ich habe gehört, was sie an Lohn bekommen.” Meine Stimme war selten ernst. Ferdinand bemerkte das und sah mich daraufhin ebenso ernst an. „Ich weiß was du sagen willst,Peter…” Ich unterbrach ihn: „Du verkaufst hundertachtzig Gramm billigstes Rindfleisch für das Zwölffache vom Einkaufspreis. Das gleiche machst du mit allen Getränken, allen anderen Speisen, du scheffelst dein Geld nachhause, während die Menschen in den Straßen fast verhungern!” Er beschwichtigte mich: „Du übertreibst, Peter. Niemand verhungert hier. Und ich spende sehr viel Geld an die Kirche! Sonst dürfte ich als Deutscher überhaupt keinen Fuß in Budapest fassen. Und die Kirche gibt es doch den Armen, oder? Ich weiß, dass das für einen Deutschen schwer zu verstehen ist, aber das ist in Ungarn völlig normal. Die Menschen, die hier arbeiten und aus Deutschland und England oder Frankreich sind, die bekommen das drei- bis fünffache von dem Gehalt der Einheimischen. Deshalb beschäftige ich ja normalerweise nur Ungarn, es ist alles rein geschäftlich. Wozu soll ich ein schlechtes Gewissen haben? Die Leute fühlen sich keineswegs benachteiligt. Sie mögen mich, weil sie bei mir arbeiten
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