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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Wirklichkeit eingreift, eine Existenz annulliert, das Spielfeld verändert, spaltet sich ein Splitter von der Realität ab. Damit, dass er die Gegenwart manipuliert, manövriert er sich seit Jahrhunderten in eine fraktale Sackgasse. In seiner Wahrnehmung stellt es sich nach wie vor so dar, als ginge es noch immer um die gleiche Wirklichkeit, die unveränderte Unendlichkeit, aber das Universum, das er glaubt, zu beherrschen, existiert inzwischen nur noch auf der Quantenebene. Er verändert ausschließlich seine eigene, kleine Zukunft.«
    Sie regt sacht ihre Hände, krault die Halskrause des wachsamen Wolfes. »Wie bin ich da hineingeraten?«, fragt sie die Stimme.
    »Unter anderem durch deinen Großvater. Er lebt in einer ebenso winzigen Weltblase, einem Fraktalausläufer – aber er ist sich dessen bewusst. Seine Welt ist geschrumpft. Er hat sich dagegen gewehrt, er ist daran gescheitert. Ein völlig normaler Vorgang in einem sich ausdehnenden Universum.« Die Stimme lacht. »Es ist nur schwierig, sich damit abzufinden, wenn man unendlich viel Lebenszeit hat.«
    Unendlich viel Lebenszeit. Unendlich viele Leben. Sie seufzt. »Ich sollte mich meinen Erinnerungen stellen. Oder was meinst du?«
    Die Stimme antwortet nicht sofort. Dann sagt sie: »Du hast es schon getan. Ich muss mich bei dir entschuldigen. Es hätte deine Entscheidung sein müssen, nicht mein Eingreifen, das dies bewirkt. Ich bin immer noch ungeduldig, das hat sich nicht geändert.«
    Sie lächelt. Die Sonne, die ihre Strahlen durch das dichte Blätterdach der weitausgreifenden Baumkrone schickt, wärmt ihre Seele. »Was rätst du mir?«
    »Ruh dich aus. Dann geh zurück. Es ist unwichtig, was dort passiert, aber du bist schon so lange damit verwoben und deshalb ist es wichtig für dich.« Atmen, leise, ruhig. »Oder bleib dort, wo du jetzt bist. Er wird versuchen, alles zu vernichten, und wahrscheinlich gelingt ihm das sogar ohne deine Hilfe. Er hat es schon so lange und so gründlich geplant, er hat die Schlachtfelder entworfen und den PLAN, nach dem alles ablaufen wird. Aber auch dies ist letztlich irrelevant.«
    Sie öffnet die Augen, hebt den Kopf, blickt hinauf in die grüne Tiefe des Baumes. Flirrend spiegeln die Blätter das Licht. Sie hockt im weichen Moos, aber unter sich sieht sie die Lichter des Weltenfächers. Gleichzeitig. Sie sitzt, sie schwebt über allem. »Wenn ich gehe, werde ich meine Erinnerungen wohl besser hierlassen«, sagt sie. »Sie sind zu schwer, um sie mit sich herumzuschleppen. Aber wie treffe ich dann meine Entscheidungen?«
    Der Teil von ihr, der sich immer noch der ewigen Zeit- und Raumlosigkeit des Nullraums bewusst ist, hört die Antwort: »Du weißt, was du wissen musst. Du bist hier, ewig schwebend in der Existenz, die Nichtexistenz ist. Treibend im Alles, das Nichts ist. Alles ist hier, immer.«
    »Dann ist es gleichgültig, woran ich mich erinnere.«
    »Irrelevant. Ja.«
    »All die anderen«, sagt sie gedankenverloren. »All die Existenzen dort. Sie haben nichts anderes als das. Für sie ist es die einzige Wirklichkeit, die sie kennen. Sie leiden, sie sterben …«
    »Irrelevant«, sagt die Stimme ohne Bedauern.
    Sie nickt. Steht auf. Der Wolf hebt den Kopf, sieht sie fragend an. »Ich gehe zurück«, sagt sie.
    »Es ist deine Entscheidung.«
    »Ich hatte eine Mission.« Sie geht hinunter zum Wasser, kniet am Ufer nieder, schaut in den schwarzen Spiegel, fischt mit spitzen Fingern eine Erinnerung aus dem Wasser. »Und ich sollte etwas holen. Jemanden annullieren.«
    Sie erwidert den Blick ihres Spiegelbildes. Es bewegt die Lippen: »Geh zurück und erledige, was du erledigen musst. Dein Großvater wird dir Gungnir geben, wenn du ihn darum bittest. Er hat keine Verwendung mehr dafür.«
    Die Worte sagen ihr nichts. Sie zuckt die Achseln. »Ich gehe zurück.« Sie steht auf, trocknet ihre Hand, sieht sich um. »Wie schön es hier ist. Werde ich diesen Ort wiedersehen?«
    Irrelevant.
    Eine Stimme, eine andere. Nicht von innen, nicht aus dem Nullraum. »Brynhildr.«
    Sie dreht sich um, sieht den alten Mann, der auf seinen Stock gestützt dasteht, das Auge gegen die Sonne zusammengekniffen, zwei große, struppige Hunde zu seinen Füßen. Lang ist sein Haar, fast so lang wie das ihre, und ebenso hell. Sie sieht ihn fragend an. Ist Brynhildr ihr Name?
    Er kommt näher. Seine Bewegungen sind kraftvoll, er benutzt den Stock nicht als Hilfe, sondern wie einen Gefährten, an den die Hand so gewöhnt ist wie an einen ihrer

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