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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Seine Stimme ist dumpf, seine Zunge schwer.
    Sie füllt die Becher, reicht ihm den seinen, setzt sich wieder an seine Seite. Wartet, dass er fortfahren möge, aber er ist wieder in Brüten verfallen.
    »Was ist so weit?«, fragt sie schließlich.
    Er schreckt hoch und sieht sie endlich an. »Jörd, meine Wala.« So hoffnungslos, so voller Trauer und Zorn ist sein Gesicht, seine Stimme, dass es ihr tief ins Herz schneidet. »Jörd, mein Weib. Ich sah die Weltesche fallen, und ich erkannte den Feind, der mich verfolgte. Das Weltende ist mir willkommen. Lass nun die Welt zu Asche und Staub vergehen, mich berührt es nicht mehr!«
    Sie stellt ruhig ihren Becher ab, ohne einen Tropfen zu verschütten. Greift seine Hand, hält sie fest. »Wer?«, fragt sie nur. Denkt: Loki.
    Er hebt das Gesicht zum Himmel, stöhnt wie ein tödlich getroffener Wolf. Dann beginnt er zu sprechen, so leise, dass sie sich zu seinem Mund beugen muss, um seine Worte zu vernehmen.
    »Ich sah, wie der Speer flog und den Riesen fällte«, flüstert er. »Der Speer brannte und säte Brand rundum, während er flog. Eine wilde, öde Landschaft ist es, und rund um den Riesen tobt eine Schlacht, wie mein Auge sie seit Tausenden von Jahren nicht mehr erblickte.« Er holt tief und stöhnend Luft.
    »Dann fällt der Riese, brennend und stumm. Ein Riss geht durch die Nacht und nun ist es Yggdrasil, die vor meinem Auge steht. Hell reckt die Heilige ihre Äste in den sturmwütenden Himmel. Sie steht fest und unversehrt, die Schlacht kümmert sie nicht. Doch dann naht die Feuersäule, die bis zum Himmel ragt und die Nacht vertreibt. Hitze, brüllende Flammen, hoch hinauf. Das Feuer erfasst die Weltesche, hüllt sie ein, frisst sie mit unstillbarem Hunger. Yggdrasil fällt wie zuvor der Riese. Der Himmel reißt auf und Nidhöggr senkt sich herab.« Er verstummt und schlägt die Hände vor sein Gesicht.
    Die Wala wartet, kaum wagt sie zu atmen. Der Speer? Die Feuersäule? Loki, der Lügengott, der Verräter? Aber der Speer …?
    »Hjördis, unsere Enkelin.« Er spuckt die Worte, bitteres Gift auf seiner Zunge. »Sie ist es, die den Speer schleudert. Sie ist es, die mit dem verräterischen Bruder das Feuer an den Weltenbaum legt. Sie war es, die mich verfolgte von Anbeginn, nichts im Sinn als mein schmähliches Ende.«
    Die Wala presst seine Hand fest wie ein eiserner Stock. »Du redest irre«, sagt sie. »Was sollte sie treiben, das zu tun?«
    Er starrt sie an, Wahnsinn im Blick. »Fragst du mich? Ich ahne es nicht. Warum sinnt sie auf meine Vernichtung? Niemals tat ich ihr Böses.«
    Jörd schüttelt den Kopf, leugnet seine Worte. »Es ergibt keinen Sinn«, sagt sie nüchtern. »Odin, Gemahl, du irrst dich. Ein böser Alp narrte dich.«
    Er beißt die Zähne aufeinander. Steht auf, schwankend wie ein Zecher, dem der Wirt die Tür weist. »Ich irre mich nicht. Wahrheit sah ich. Und nun, Wala, werde ich dorthin gehen. Aug in Auge soll sie mich töten, wenn sie es denn vermag – oder fallen durch meine Hand!«
    Sie springt auf, hält ihn fest. »Wie willst du sie finden? Du suchtest so lange schon nach ihr.«
    Er lacht, wild und böse, hebt Gungnir über seinen Kopf. »Er führt mich zu seinem dunklen Bruder«, ruft er und schüttelt den Speer. »Ich fühle den Weg. Ich werde ihm folgen!«
    Ash erwachte von ihrem eigenen Schrei. Sie fand sich hochaufgerichtet in der Dunkelheit sitzend, ohne Orientierung. Wo ist sie? Ist dies Hels düsteres Reich? Sie tastete über ihre Rippen, über ihre Brust, ihre Kehle. Blut? Eine klaffende Wunde? Strömendes Blut, Schmerz, Todesangst?
    Eine Tür öffnete sich, Licht strömte in den Raum. Weiches, gedämpftes Licht, aber es schmerzte in den weit geöffneten Augen. Ihr Atem ging stoßweise, heftig, wie nach einer großen Anstrengung oder einem heftigen Erschrecken.
    Eine riesige, massige Gestalt füllte den Türrahmen, löschte das Licht. Schwere Schritte stampften über den Dielenboden auf sie zu. Sie keuchte, wich zurück. Unter ihren Halt suchenden Händen fühlte sie weiche Kissen, seidene Wäsche. Ein Bett, sie lag auf einem Bett. Es war wohl doch nicht das Totenreich, in dem sie sich wähnte.
    Der Riese beugte sich über sie, griff mit seinen Pranken nach ihr. Glut leuchtete aus seinen Augen. »Warum hast du geschrien?«, grollte seine Stimme, tiefer als jede menschliche Stimme.
    Sie atmete aus, entspannte sich, überließ sich der Berührung der riesigen Hände. »Ich habe geträumt«, sagte sie. »Schrecklich geträumt.

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