Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
irgendein anderes Statement abzugeben als ›Kein Kommentar? Dieses Corp-Co?«
»Ebendieses.«
Der Imam macht eine wegwerfende Geste. »Manchmal sind Dinge so kaputt, dass man sie nicht mehr reparieren kann.«
Der Rabbi beharrt: »Die Schwadron ist nicht kaputt –«
»Doch, das ist sie«, widerspricht ihm der Priester mit sanfter Stimme. »Etwas ist mit der Schwadron passiert. Und solange das Problem nicht gelöst ist, befinden wir uns alle in größter Gefahr. Das ist nicht das Ende der Welt«, fährt er, an Goldwater gewandt, fort. »Aber es ist eine äußerst ernste Situation.«
Der Mitschnitt endet, und Tom Carlin schüttelt seinen Kopf in die Kamera. ›»Ernst‹, sagt er. Eine Zahnwurzelentzündung ist ernst. Was da mit der völlig abgedrehten Schwadron passiert, ist eine komplette Katastrophe! Und Corp-Co sagt kein einziges beschissenes Wort dazu! Vielleicht haben ihre Anwälte ihnen ja geraten, sich unter einem Stein zu verkriechen, bis sie einen rechtlichen Dreh gefunden haben, damit man ihnen das ganze Chaos, das die Schwadron anrichtet, nicht anhängen kann. Inzwischen gibt es aber einige Menschen, die offen davon sprechen, mehr zu tun, als nur darüber zu reden.«
Ein weiterer Ausschnitt, diesmal von Frank Wurtham, dem Fließtext nach Vorsitzender der Everyman Society. Garth braucht diese Erläuterung nicht, um zu wissen, wer der Mann auf dem Bildschirm ist. Ganz abgesehen davon, dass er eher als »Rasender Irrer« bezeichnet werden sollte denn als »Vorsitzender«. Aber egal.
»Wir können den Kampf gegen diese widernatürlichen Kreaturen nicht den Behörden überlassen«, schwadroniert Wurtham. »Wir müssen aufstehen, jeder Mann, jede Frau, jedes Kind. Wir müssen aufstehen und zurückschlagen, mit allem, was wir haben –«
Ein lautes Krachen aus dem Wohnzimmer.
Um Wurthams Monolog zu übertönen, ruft Garth ganz laut: »Hey, Leute, alles okay da drüben?«
Keine Antwort.
Mit finsterem Blick öffnet Julie die Schlafzimmertür und tritt hinaus. Hinter der Türschwelle stößt sie einen lauten Japser aus, der abrupt abbricht.
»Julie?«
Keine Reaktion.
Ein eisiger Schauer kriecht Garths Wirbelsäule hinauf, und plötzlich ist sein Mund ganz trocken. Auf dem Bildschirm giftet Frank Wurtham weiter gegen das Böse in Form der Außermenschlichen.
Garth schaltet den Fernseher aus und steht ganz langsam auf. Er nähert sich Julie, streckt eine Hand aus, damit sie sich daran festhalten kann. Aber Julie bewegt sich nicht. Er greift nach ihr, dreht sie um.
In ihren Augen ist nur noch das Weiße zu sehen. Sie blickt auf einen Punkt, den Garth nicht sehen kann.
»Julie«, flüstert er und streichelt ihre Wange, während seine Gedanken in einem Strudel der Angst umherwirbeln. Ein kurzer Blick ins Wohnzimmer zeigt Garth, dass der Brewer-Clan und Mrs Summers anscheinend in demselben Zauber gefangen sind wie seine Frau. Die Kinder liegen vor ihrem Brettspiel, Heather und die alte Frau auf dem Sofa. Paul steht regungslos an der Küchentür, zu seinen Füßen einen Haufen gesplittertes Glas. Es glitzert im Licht wie Diamanten.
Garth versucht, Julie zurück ins Schlafzimmer zu führen, aber ihre Füße spielen nicht mit. Mit einem frustrierten Knurren stürzt er hinüber zu seinem Nachttisch, greift sich das Telefon, hämmert die Nummer der Notrufzentrale in die Tasten …
… und vernimmt ein Besetztzeichen.
»Verdammt!« Er versucht es wieder. Und wieder. Und wieder. Er will hinaus ins Wohnzimmer, will weglaufen, schlagen, verletzen, schreien. Stattdessen wählt er weiter die Nummer der Notrufzentrale.
Es vergehen fast zwanzig Minuten, ehe er durchkommt.
Es dauert beinahe eine Stunde, bevor das Rettungsteam da ist. Den Sanitätern gelingt es, das Wohnzimmer zu durchqueren, ohne sich in Statuen zu verwandeln. Auch als Garth den Raum betritt, passiert ihm nichts. Entweder sind sie alle immun, oder das, was auch immer hier geschehen ist, ist vorbei. Aber Julie und die anderen sind immer noch entrückt, ihre Augen ganz weiß. Die Kinder lächeln. Garth denkt, das ist eine Gnade. Was immer sie auch sehen, es macht sie glücklich.
»Es passiert im ganzen Planquadrat«, sagt einer der Männer zu Garth, während die anderen Sanitäter Julies Werte prüfen, die Brewers und Mrs Summers untersuchen. Vielleicht denkt er ja, er kann Garth trösten, indem er ihn wissen lässt, dass er nicht allein ist mit seinem Problem. »Die Leute starren einfach vor sich hin«, fährt er fort, »zeigen keinerlei Reaktion,
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