Projekt Sakkara
zulässt, das Zusammensein von zwei Menschen mehr ergibt, als die Summe von beiden. Wir bekommen doch nur dadurch eine Bedeutung, dass wir gemeinsam etwas erschaffen, das über die Fähigkeiten eines Einzelnen hinausgeht. Dadurch entsteht Neues, es ist eine Fortpflanzung. Nicht im biologischen Sinn. Wer sind wir, wenn wir nicht die Welt um uns verbessern und denen, die nach uns kommen, mehr hinterlassen, als wir vorgefunden haben? Das alles ist meiner Meinung nach das höchste Ziel. Und das schließt alles um uns herum ein. Es kann nicht alleine in seinem selbst gefunden und ausgelebt werden.«
Melissa blickte ihn ganz gebannt an, und zum ersten Mal bemerkte er das intensive Grün ihrer Augen. Vielleicht war es eine merkwürdige Spiegelung des Lichts, aber sie schienen zu funkeln und besaßen zugleich wieder jene Tiefe, die er für einen Herzschlag bei ihrem letzten Treffen gespürt hatte.
»Das war sehr schön«, sagte sie halblaut, ohne den Blick von ihm zu lösen. »Was du gerade gesagt hast.«
»Hm ... Danke.«
»Willst du mich etwa bekehren?«
»Bekehren? Wie soll das denn gehen? Wozu denn?«
»Ich weiß nicht ... sag du es mir. Woran glaubst du?«
»Woran ich glaube? Puh ... « Er schenkte sich etwas Wein nach, während er überlegte. Es war ein reichlich merkwürdiges Gespräch, das er hier gerade führte. Aber nun hatte er damit angefangen. »Ich glaube nicht, dass ein höheres Wesen die Welt und die Menschen geschaffen hat. Keine Gottheit und keine Außerirdischen. Aber ich glaube, dass in vielen lange überlieferten Glaubensinhalten die eine oder andere Wahrheit steckt. Ich denke, dass vieles, was wir heute nicht verstehen, lediglich jenseits unseres Wissens liegt. Und dass wir einiges einfach bisher noch nicht erforscht haben – oder wieder vergessen.«
»Wieder vergessen? Dann glaubst du, früher war man schlauer als heute?«
»So pauschal würde ich das nicht sagen. Aber ich bin sicher, dass vieles bereits einmal entdeckt war und im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende wieder untergegangen ist. Ich denke, es wäre auch möglich, dass es eine frühere Kultur gegeben hat, die uns in einiger Hinsicht bereits voraus war, bevor sie wieder aus der Weltgeschichte verschwand.«
»Ehrlich? Wie kommst du denn darauf?«
»Ich denke außerdem, dass du ganz schön neugierig bist. Du willst dich um unser Spiel drücken.«
»Ach komm schon. Erzähl mir ein bisschen mehr! Wir sind beide auf der Suche nach Wissen, jeder auf seine Weise. Ich kenne doch den Professor, seine Thesen und seine Auseinandersetzung mit der Kulturgeschichte. Immer wieder hat er sich damit beschäftigt, wie verschiedene Episoden in der Geschichte die Zukunft auf einen bestimmen Weg gebracht haben. Er untersucht die Zusammenhänge, die größer sind als die Historie einer einzelnen Region oder eines einzelnen Volkes. Er hat sich auch ausführlich mit Mythen und Überlieferungen beschäftigt, also dem, was vielleicht einmal Wissen gewesen ist, und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, um schließlich eine neue Religion zu begründen oder sich zu Esoterik oder Magie zu wandeln und schließlich wieder in Vergessenheit zu geraten. Er ist auf der Suche nach dem Ursprung der Menschheit, dem Quell der Weisheit, des Wissens. Und dass du mit ihm zusammenarbeitest, bedeutet, dass du auf der selben Spur bist.«
»Nun, in gewisser Weise ... «
»Na siehst du. Und eben hast du noch erzählt, dass ihr einen Papyrus entdeckt habt, der die Existenz eines Gegenstands belegt, der möglicherweise zur Zeit der Templer, also dreitausend Jahre später, noch im Umlauf war und von ihnen als Quelle der Weisheit angesehen wurde. Das ist doch irrsinnig spannend! Was war es, verrätst du es mir?«
»Also gut. Es geht um eine ägyptische Stele.«
»Die Stele der Offenbarung!« Melissa rutschte aufgeregt auf dem Kissen herum.
»Wie bitte?«
»Die Stele der Offenbarung«, wiederholte sie. »Weißt du, als Crowley Anfang des letzten Jahrhunderts das Ägyptische Museum besuchte, hier in Kairo, da sah er auch eine Stele. Sie trug die Archivnummer 666. Und sie war der Auslöser für Crowleys Visionen. Sie war es, die dazu führte, dass er sein Gesetz verfasste und den Orden gründete.«
»Tatsächlich?« Patrick runzelte die Stirn. Konnte es sein, dass es hier eine Verbindung gab? Das hätte ihm gerade noch gefehlt, wenn ihre Suche sie wieder einmal ungewollt in die Nähe irgendwelcher okkulten Sekten und deren mehr als dubiosen Lehren und Lehrmeister
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