Projekt Wintermond
dabei?«
»Ausrüstung?«
»Stiefel, Steigeisen, Eispickel, Wetterjacke und so weiter.«
»Leider nicht.«
»Na, macht nichts«, sagte der Hotelier. »Meine Schwester Greta ist eine erfahrene Bergsteigerin. Sie kann Ihnen alles leihen, was Sie brauchen. Sie hat ungefähr Ihre Größe. Sie haben Greta übrigens schon kennen gelernt – sie arbeitet an der Rezeption. Also, wir treffen uns dann morgen früh um halb sieben hier unten. Nach dem Frühstück fahren wir die Straße zum Wasenhorn bis zum Ende hinauf. Den Rest der Strecke müssen wir zu Fuß gehen. Wir werden ungefähr drei Stunden brauchen. Sie müssen sich warm anziehen. Dort oben weht ein kaltes Lüftchen.«
Jennifer hob ihr Glas. »Danke.« Sie nippte an dem Schnaps, der wie Feuer in ihrer Kehle brannte, und schüttelte sich.
Weber lachte. »Ich hatte Sie gewarnt.« Er stand auf und reichte Jennifer die Hand. »Jetzt muss ich mich um meine Gäste kümmern. Hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen, Frau March.«
Als die Dunkelheit hereinbrach, fuhr Mark zurück ins Dorf und an Jennifers Hotel vorbei. Der Toyota stand auf dem Hotelparkplatz. Genau gegenüber vom Berghof war das Seefelder. Es schien ein teurer Schuppen zu sein. Ein Künstler hatte die pastellfarbenen Außenwände mit Jagdszenen bemalt. Zum Glück befand sich der Parkplatz hinter dem Haus, sodass niemand den Opel von der Straße aus sehen konnte. Ob Jennifer vorhatte, die Nacht im Berghof zu verbringen, wusste Mark nicht. Dieses Risiko musste er eingehen. Er fuhr auf den Hotelparkplatz, stellte den Opel ab, betrat das Hotel und ging zur Rezeption.
»Ich hätte gern ein Einzelzimmer.«
Der Empfangschef hob den Kopf und antwortete auf Englisch: »Aber gern, Sir. Wie lange bleiben Sie?«
»Voraussichtlich nur eine Nacht«, sagte Mark. »Ich möchte ein Zimmer mit Blick auf die Straße.«
Der Mann runzelte die Stirn. »Die beste Aussicht auf die Alpen bieten die Zimmer zum Hof. Ziehen Sie es nicht vor, in einem dieser Zimmer zu übernachten?«
Mark reichte ihm seine Kreditkarte. »Ich glaube Ihnen gern, dass die Aussicht fantastisch ist. Trotzdem möchte ich ein Zimmer zur Straße. Buchen Sie den Betrag bitte sofort ab. Vielleicht verlasse ich Sie morgen in aller Frühe.«
Um Mitternacht lag Jennifer noch immer wach in ihrem dunklen Hotelzimmer. Die Kirchturmuhr schlug zwölf. Der Gedanke an den jungen Bergsteiger McCaul raubte ihr den Schlaf. Die Andeutung des Hoteliers, er könnte unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sein, jagte ihr kalte Schauer über den Rücken. Um mehr zu erfahren, musste sie sich bis zu ihrem Treffen mit Caruso gedulden. Jennifer beschäftigte noch etwas anderes: der Opel, der ihr gefolgt war. Sie versuchte sich einzureden, dass ihre Fantasie allmählich mit ihr durchging.
Draußen tobte ein Unwetter. Blitze zuckten, und ohrenbetäubende Donnerschläge rasten durch die Alpentäler. Strömender Regen prasselte aufs Dach. Für Jennifer war es nicht einfach, während eines Unwetters Schlaf zu finden. Die heutige Nacht bildete da keine Ausnahme. Vor ihrem geistigen Auge tauchten wieder die Szenen der Mordnacht auf: der Anblick der blutüberströmten Körper ihrer Mutter und ihres Bruders im elterlichen Schlafzimmer; der maskierte Mann, dem sie die Klinge in den Hals stieß; ihr verzweifelter Versuch, dem Verfolger zu entkommen .
Die entsetzlichen Albträume kehrten immer wieder, obwohl sie sich verzweifelt bemühte, die traumatischen Ereignisse der Mordnacht zu überwinden.
Eine Stunde später schlief sie endlich erschöpft ein.
Mark saß in seinem dunklen Hotelzimmer. Er hatte die Gardinen zur Seite gezogen und hielt das Fernglas in der Hand. Draußen war tiefe Nacht, doch dank der Nachtsichtlinsen, die er aufs Fernglas geschraubt hatte und die der Dunkelheit geisterhafte grüne Farbtöne verliehen, konnte er Jennifers Wagen und ihr Hotel sehen. Die Kleinstadt schlief. Nur das Wüten des Sturms und das Donnern in den Bergen waren zu hören.
Vor einer Stunde hatte Jennifer die Vorhänge in ihrem Zimmer zugezogen und das Licht ausgeschaltet. Daraufhin hatte Mark sich ein wenig entspannt und das Fernglas aus der Hand gelegt. Von Grimes und Fellows hatte er nichts mehr gehört. Vermutlich übernachteten sie in einem der anderen Hotels vor Ort. Falls Jennifer vorhatte, morgen früh Richtung Gletscher zu fahren, stand er vor einem großen Problem, denn der spärliche Verkehr auf den Bergstraßen würde die Beschattung erheblich erschweren. Mark wusste
Weitere Kostenlose Bücher