Projekt Wintermond
auch nicht, wann Jennifer das Hotel wieder verlassen würde. Er stellte sich den Reisewecker sicherheitshalber auf sieben Uhr. Für den Morgen hatte er sich bereits saubere Kleidung herausgelegt und die Reisetasche gepackt. Er zog die Vorhänge zu und schaltete die Nachttischlampe ein.
Das Zimmer war luxuriös mit einem großen Bett, Chintzvorhängen und teuren antiken Holzmöbeln ausgestattet. In einer Ecke stand eine Minibar. Seit dem Flug heute Morgen hatte Mark nichts mehr gegessen, doch den Zimmerservice wollte er nicht rufen, da er befürchtete, dadurch die Beschattung von Jennifers Hotelzimmer zu gefährden. Die lange Fahrt hatte an seinen Kräften gezehrt. Er war hungrig und durstig, und die Höhenluft machte ihm zu schaffen.
Mark warf einen Blick in die Minibar. Sie enthielt Bier, Schnaps, alkoholfreie Getränke, Nüsse, Snacks und Süßigkeiten: kleine Toblerone-Riegel und alkoholhaltige Edelschokolade. Nach kurzer Überlegung nahm er eine der zwei Miniflaschen Jack Daniel’s aus der Minibar und warf einen Blick auf die Preisliste. Die kleine Flasche kostete umgerechnet sage und schreibe zwölf Dollar. Eine Tüte Nüsse kostete fünf Dollar, der Toblerone-Riegel sechs und die alkoholhaltigen Edelschokoladen zehn.
Was soll’s, sagte er sich. Geht ja auf Spesen. Mark trank ein Bier und einen Jack Daniel’s mit Eis. Dazu aß er eine Packung Nüsse und einen Toblerone-Riegel. Die Edelschokoladen sparte er sich für später auf. Er wollte sich gerade einen zweiten Jack Daniel’s genehmigen, als sein Handy klingelte. Kelso war am Apparat. »Haben Sie sich eingewöhnt, Ryan?«
»Klar. Es ist fast wie zu Hause, nur dass es hier eine Minibar gibt. Wo sind Sie?«
»In Ihrer Nähe.« Weitere Erklärungen lieferte Kelso nicht. »Was ist mit Jennifer?«
»Sie übernachtet im Berghof, genau gegenüber von meinem Hotel. Wo sind Ihre Agenten?«
»In einem Hotel am Ortsausgang. Kommen Sie mit den Überwachungsgeräten zurecht?«
»Bestens.«
»Gut. Sie sollten versuchen zu schlafen. Morgen wird sicher ein anstrengender Tag.«
»Keine Sorge. Ich komme schon klar.«
»Gute Nacht, Mr Ryan.«
Mark schaltete das Handy aus, trank seinen Jack Daniel’s und überprüfte noch einmal seine elektronischen Geräte. Es schien alles in bester Ordnung zu sein. Jennifers Beschattung kam ihm wie ein böser Traum vor. Es war schwierig für ihn, sich damit abzufinden. Er fragte sich, wie sie auf die Identifizierung des Leichnams ihres Vaters reagieren würde. Und zum tausendsten Mal stellte er sich dieselbe Frage: Warum hat Paul March in dem Eisgrab in den Alpen den Tod gefunden?
Mark öffnete das Fenster, zog sich aus und ging ins Bett. Die kalte Bergluft wirkte wie ein Schlafmittel auf ihn. Kaum lag sein Kopf auf dem Kissen, schlief er ein.
Der Mann fuhr ins Dorf und hielt vor dem Berghof. Es goss in Strömen. Er stellte den Motor ab, ließ das Seitenfenster herunter und betrachtete ein paar Minuten das Hotel, das vom flackernden Licht der Blitze erhellt wurde.
Es war drei Uhr nachts. Nachdem der Mann einen prüfenden Blick auf die Straße geworfen hatte, stieg er aus und trat hinaus in den Regen. Dann ging er zum weißen Toyota, zog das Werkzeug unter seinem nassen Regenmantel hervor und machte sich an die Arbeit. Fünf Minuten später stieg er wieder in den Wagen und fuhr denselben Weg zurück, den er gekommen war.
16
New York
Lou Garuda verbrachte den ganzen Montag damit, seine alten Notizen vom March-Fall durchzusehen. Viel schlauer war er anschließend auch nicht. Er fragte sich, was Mark im Schilde führte. Sein alter Kumpel hatte ihm keine Telefonnummer hinterlassen, damit er ihn kontaktieren konnte. Ein wenig verärgert rief Garuda einen gemeinsamen Bekannten bei einer New Yorker Polizeiwache an.
»Woody, hier ist Lou Garuda.«
»Ah, mein südländischer, trinkfester Kumpel. Der Hengst mit dem dicken Schwanz. Was kann ich für dich tun, Lou?«
»Mark Ryan hat im Moment Urlaub. Weißt du, wo der stecken könnte?«
»Nee.«
»Irgendeine Ahnung, wie ich ihn erreichen könnte?«
»Nee.«
»Weißt du, wohin er gefahren ist?«
»Nee.«
»Danke, Woody. Du bist eine gute Informationsquelle.«
»Gern geschehen.«
Garuda legte auf. Mark Ryan hatte früher an derselben Straße gewohnt wie Jennifer March. Vielleicht wusste seine Familie, wo er war. Garuda fuhr mit seinem silbernen, fünfzehn Jahre alten Porsche 944 nach Long Beach auf Long Island. Der Porsche hatte schon hundertachtzigtausend auf dem Tacho,
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