Prost Mathilda - von Wolke sieben ab in den Vollrausch
ganz schrill vor Aufregung. „Erzähl!“, forderte sie Mathilda ungeduldig auf.
Mathilda räusperte sich. „Kannst du nicht herkommen? Ich bin im Park. Hinter dem Springbrunnen, da ist so eine Bank, ziemlich weit hinten im Gebüsch ...“
„Ne, geht leider nicht“, schnitt Franzi ihr das Wort ab. „Sonntag ist bei uns
heiliger Familientag
. Keine Chance für mich, da wegzukommen.“
Franzi stöhnte laut in den Hörer. „Du musst schon mit meiner Stimme vorlieb nehmen, oder bis morgen warten.“
„Dann warte ich bis morgen“, beeilte sich Mathilda zu sagen. Inzwischen war ihr sowieso die Lust vergangen, mit Franzi über Tom zu reden.
„Och, das ist jetzt aber gemein“, beschwerte sich Franzi. „Erst heiß machen und mir die Hoffnung auf eine kleine Abwechslung an diesem öden Familientag in Aussicht stellen und dann nichts als Pustekuchen. Das ist echt nicht fair, Mati“, maulte sie.
Das ist nicht fair? Weißt du oberflächliche Kuh von einer angeblich besten Freundin eigentlich, was nicht fair ist?, wollte Mathilda am liebsten in den Hörer kreischen, aber kein Ton davon kam über ihre Lippen. Stattdessen behauptete sie: „Die Verbindung ist irgendwie gerade total schlecht. Ich kann dich kaum noch verstehen. Wir sehen uns morgen.“ Damit beendete sie das Gespräch einfach, ohne Franzis Antwort abzuwarten. Einen Moment hielt sie das Handy noch unentschlossen in den Händen und überlegte, ob sie bei Kati anrufen sollte. Doch schließlich verstaute sie es wieder in ihrer Tasche.
Was sollte ein Gespräch mit Franzi oder Kati eigentlich bringen?, fragte sie sich. Die beiden hatten doch sowieso keine Ahnung. Die wussten doch nicht, wie es gerade in ihr aussah. Dass ihr Kopf sich wie leer gefegt anfühlte und dennoch auf Hochtouren arbeitete. Dass sie sich von Tom verraten und verkauft, belogen und betrogen fühlte und ihn dennoch mehr als ihr eigenes Leben liebte. Ihn so sehr liebte, dass es wehtat.
Tom.
Alles in ihr schrie nach Tom.
Mit jeder Faser ihres Körpers sehnte sie sich nach ihm. Und die Erkenntnis, dass es aus war, dass sie nie wieder mit ihren Fingern durch seine Haare fahren, seine Lippen auf ihren spüren, seine Hände umschlingen, sein Gesicht berühren konnte, raubte ihr fast den Verstand.
Mathilda zog die Beine an und umklammerte mit den Armen ihre Knie. In dieser Stellung verharrte sie so lange, bis die Sonne tief am Himmel stand und sich die Luft langsam abkühlte. Dann erst riss sie sich aus ihrer Erstarrung, erhob sich von der Bank, schüttelte ihre Beine und Arme aus und machte sich auf den Weg nach Hause.
Mathilda schloss leise die Wohnungstür auf und blieb einen Moment lauschend im Türrahmen stehen. Erst als kein Geräusch im Inneren der Wohnung zu hören war, trat sie ein und ließ die Tür leise hinter sich ins Schloss fallen.
Auf Zehenspitzen schlich sie in ihr Zimmer. Sie warf sich auf ihr Bett, ohne zuvor die Schuhe auszuziehen oder ihre Schultertasche abzulegen. Mathilda schloss die Augen und schon war es da:
Toms Gesicht. Es lächelte sie an.
Mathildas Herz begann zu stolpern. Doch als neben Toms Gesicht ein weiteres auftauchte, zwar ungenau, da sie Tanja nur einmal kurz gesehen hatte und ihr Gesicht deshalb vor ihrem inneren Auge konstruieren musste, war es sofort wieder vorbei mit dem Herzstolpern. Stattdessen legte sich ein schwerer Eisenring um ihr Herz und ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Mathilda riss die Augen auf und wischte sich mit den Händen übers Gesicht.
Wegwischen – einfach wegwischen diese Bilder, dachte sie verzweifelt.
Mathilda drehte sich auf die Seite und starrte zum Fenster hinaus.
Toms Gesicht. Und dahinter tauchte sofort wieder Tanja auf. Und dann hörte sie wieder seine Stimme, sodass Mathilda das Gefühl hatte, jeden Moment einfach durchdrehen zu müssen.
Mathilda schaute sich hektisch in ihrem Zimmer um. Überall war Tom. In jeder Ecke lauerte sein Gesicht. In jedem Winkel überfiel sie die schmerzhafte Erinnerung. Sie hielt es einfach nicht länger aus. Mit einem Satz kam sie auf die Beine und ging mit steifen Schritten zur Tür.
Sie musste etwas tun. Sie musste Tom unbedingt aus ihrem Kopf kriegen, sonst würde sie noch total wahnsinnig werden.
Vorsichtig öffnete sie die Tür und schlich in die Küche hinüber. Auf dem Tisch standen zwei leere Weingläser.
Warum zwei? Hatte Conni Besuch gehabt? Und war dieser Besuch vielleicht noch immer in der Wohnung? In Connis Zimmer?
Mathilda ging wieder zurück auf den Flur
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