Psalms of Isaak 01. Sündenfall
Rudolfo. Ich habe meinen Preis bezahlt, um ihm zu Diensten zu sein. Wenn Ihr unbedingt irgendeine Gerechtigkeit sehen müsst, um über die Ungerechtigkeiten hinwegzukommen, die Euch widerfahren sind, dann könnt Ihr sie gewiss bekommen. Aber nachdem Ihr mich getötet habt, geht und tut Euren Teil.« Er wandte sich wieder zu den Regalen und zog einen weiteren Band heraus. »Ich würde es auch zu schätzen wissen, wenn Ihr mir gestattet, dies hier erst zu Ende zu bringen.«
Rudolfo ließ den Griff seines Messers los, so dass die Klinge wieder zurück an ihren Platz glitt. Wie oft war der Alte bereits zu dem Scheiterhaufen gegangen? Zwanzigmal? Dreißigmal? Es war schwer zu sagen, aber Rudolfo nahm an, dass die Regale voll gewesen waren, als er angefangen hatte. Eine hässliche Erkenntnis dämmerte in ihm herauf. »Sind diese Bücher …?«
Vlad Li Tam antwortete, ehe er die Frage zu Ende brachte. »Es sind die Aufzeichnungen vom Werk des Hauses Li Tam in den Benannten Landen, von T’Erys Whym während des ersten Papsttums in Auftrag gegeben.«
Rudolfo musterte die unbeschrifteten Buchrücken. Das schiere Ausmaß flößte ihm Ehrfurcht ein. »So weit reichen sie zurück?«
»Ja. Bis zu den Siedlungstagen.«
Vlad Li Tam zog den letzten Band heraus und reichte ihn Rudolfo.
Er schlug ihn auf und sah die Schrift – es handelte sich um eine Haussprache, die er nicht kannte, obwohl ihm einige der Zeichen vertraut vorkamen. Die Worte waren dicht gedrängt, und an den Rändern standen Zahlen, von denen er annahm, dass es sich um Jahreszahlen handelte. Dieses Buch war nur zum Teil beschrieben, und ihm wurde plötzlich klar, dass es sich bei diesem letzten Band um sein Buch handeln musste. Er erinnerte sich an Vlad Li Tams Worte.
Es geht weit über Euch allein hinaus.
Er wog es in der Hand und dachte einen Augenblick lang, dass er es vielleicht behalten sollte. Wenn Jin Li Tam es nicht übersetzen wollte, dann konnte es vielleicht Isaak oder einer der anderen Mechoservitoren tun, sobald genug Zeit war. Aber wollte er es wirklich wissen? Und was würde dieses Wissen ändern?
Schließlich reichte er Vlad Li Tam das Buch zurück.
Nun, da der Schubkarren voll und die Regale leer waren, gingen sie wortlos wieder hinaus zum Feuer.
Schließlich blickte Vlad Li Tam auf, und sein Blick begegnete noch einmal dem Rudolfos. »Der Orden hat mich darum gebeten, einen neuen Ort für die Große Bibliothek mit einem starken Verwalter zu finden.« Er hielt inne. »Ihr seid der neue Hirte des Lichts.«
»Aber warum ich?«, fragte Rudolfo.
Vlad Li Tam zuckte die Schultern. »Warum nicht Ihr?« Der Alte warf ein Buch ins Feuer, und Rudolfo beobachte, wie die Flammen es verzehrten. Wessen Leben waren das? Welche Taten waren begangen worden, dort auf jenen Seiten? Wie hatte man den Fluss umgelenkt und zu welchem Preis?
Es war ein whymerischer Irrgarten, von dem Rudolfo nicht sicher war, ob er einen Weg hindurchfinden würde. Und jede Frage trieb ihn nur noch weiter hinein. »Und welche Rolle spielt Eure zweiundvierzigste Tochter in alldem?«
Auf Vlad Li Tams Gesicht legte sich eine Mischung aus Traurigkeit und Stolz. »Sie ist meine beste und klügste, ein Pfeil, den ich seit dem Tag ihrer Geburt geschärft habe.« Seine Stimme klang väterlich. »Sie ist für diese Zeit geschaffen worden, genau wie Ihr.«
Eine letzte Frage lockte ihn noch tiefer in den Irrgarten. »Was ist mit Sethbert? War Windwir ein Teil Eures Werks?«
Vlad Li Tams Augenbrauen zogen sich zusammen. »Weshalb sollte ich das Licht auslöschen wollen, um es zu retten? Sethbert hat seine Taten selbst zu verantworten.«
Aber Rudolfo hörte aus seiner Erwiderung keine Antwort heraus, und er erkannte, wie sorgfältig der Alte der Frage auswich. In seiner Stimme lag Zorn – vielleicht sogar Angst. Er weiß mehr, als er mir verrät.
»Wenn ich wirklich Euer sogenannter Hirte des Lichts bin, dann solltet Ihr freimütiger antworten«, sagte Rudolfo schließlich.
Aber Vlad Li Tam sagte nichts. Stattdessen warf er noch ein Buch in die Flammen.
Sie standen am Feuer und schwiegen eine Weile. Vlad Li Tam schleuderte ohne Unterbrechung die Bücher hinein, und Rudolfo sah zu, wie eine geheime Geschichte nach der anderen in Flammen aufging. Das ganze Werk des Hauses Li Tam im Lauf der Jahrhunderte – zunächst als Schiffsbauer und später als die größte Bank, die die Benannten Lande je gekannt hatten.
Schließlich kam Vlad Li Tam beim letzten Buch an. Es war Rudolfos Buch,
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