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Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Titel: Pubertät – Loslassen und Haltgeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Rogge
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wartet, um ihre Fragen loszuwerden. Sie sitzt im Wohnzimmer, liest, sieht von der Zeitung auf und sagt: «Na, schön, dass du da bist.»
    Lars sagt: «Scheiß Hausaufgaben. Was gibt’s zu essen?»
    «Spaghetti!»
    «Deshalb riecht es so gut!»
     
    Diese Situation verdeutlicht eine ungewöhnliche Methode.
Viele Eltern bewerten nicht die Handlungen, die sie sehen, sie bewerten die Handlungen auf der Grundlage von Meinungen, die sie von diesen Handlungen haben. So hatte Lars kaum Chancen, sich dem mütterlichen Beobachtungsraster zu entziehen. Positive und soziale Persönlichkeitsanteile ihres Sohnes konnte die Mutter aufgrund der Fixierung auf das eine Thema gar nicht mehr wahrnehmen.
Es geht bei der Veränderung der Wirklichkeitssicht nicht darum, Schuld anders zu verteilen – nach dem Motto: «Nicht das Kind hat die Probleme, sondern die Erwachsenen.» Vielmehr möchte ich den pädagogisch Handelnden veränderte Handlungsperspektiven zeigen. Wenn man versucht, die Wirklichkeit anders, d.   h. angemessener, zu betrachten, kann es gelingen, neue Lösungen für problematische Konfliktsituationen zu finden.
     
    Der Ausgangspunkt für ein lösungsorientiertes Vorgehen ist die folgende Annahme: Pubertierende handeln so, wie sie handeln. Deshalb ist es bedeutsam, die Spielregeln zu erkennen, nach denen sie ihre Aktivitäten vollziehen. Nur wenn ich diese erkenne und mich zugleich als Element des Spiels betrachte, dann habe ich die Lösungsmöglichkeiten selbst in der Hand.
    Manchmal sind unorthodoxe Wege äußerst hilfreich. Waltraud Rüdiger hatte Beziehungsstress mit ihrer 1 8-jährigen Tochter Marlene, die nicht aufräumte und Unordnung im ganzen Haus verbreitete. Die Mutter räumte immer wieder auf, doch dies führte nicht dazu, dass ihre Tochter eigenständiger wurde. Als es der Mutter schließlich zu bunt wurde, suchte sie das Gespräch. Sie bemühte sich redlich, Marlenes Unart genau zu beschreiben und nicht in Verallgemeinerungen abzugleiten. Aber sie kam auch ohne Umschweife auf Veränderungswünsche zu sprechen. Sie bat Marlene um Mithilfe dabei, die Schlamperei anzugehen.
    «Aber warum ich?»
    «Ich habe es dir vorhin erklärt. Ich bin berufstätig. Und du hast dich entschieden, bei mir im Haushalt zu leben. Zu Papa wolltest du nicht. Und nun erwarte ich deine Mithilfe!»
    «Aber ich bin abends abgespannt von meiner Ausbildung und müde. Ich brauche meine Ruhe!»
    «Das beobachte ich. Aber ich habe dir meine Überlegungen erklärt!»
    «Aber ich hab sie nicht verstanden!»
    «Ich habe sie dir ein paarmal sehr genau erklärt, und du hast durch dein Nicken gezeigt, dass du mich verstanden hast!»
    «Aber keine aus meiner Klasse muss mithelfen, nur ich!»
    «Das mag stimmen», antwortet die Mutter ruhig. «Aber du kennst meine Meinung!»
    Die Mutter bleibt klar, wiederholt ihre Position, der Ton ist gelassen, sie lässt sich auf keine Provokation ein und nicht in einen Machtkampf hineinziehen. Am nächsten Tag sucht Marlene ihrerseits das Gespräch, will die Mutter weichklopfen, doch die bleibt bei ihrer Linie.
    «Und wenn ich es nicht mache?»
    «Marlene, du weißt, ich mag dich, aber ich habe es satt, dass wir deswegen streiten. Ich bin nicht deine Putzfrau!»
    «Dann stellen wir eine Putzfrau ein», ruft Marlene.
    «Die bezahle ich nicht. Und du kannst es nicht!»
    «Dann lass uns die ganze Sache vergessen. Ich gebe mir schon Mühe! Es wird schon werden!»
    «Ich habe viel versucht. Ich hab mit dir ständig geredet, aber den schwarzen Peter habe immer ich bekommen.» Sie sieht ihre Tochter fest an. «Marlene, dann suche ich mir einen Untermieter, und du ziehst aus! Du bist alt genug!»
    Marlenes Unterkiefer klappt herunter, ihr fehlen die Worte. «Du magst mich nicht mehr», schluchzt sie mit einem Mal los.
    «Doch. Aber dieser Stress, den ich mit dir habe, der belastet mich.»
    «Du warst früher auch schlampig!», drückt Marlene mit tränenerstickter Stimme heraus, «du warst auch schlampig!»
    «Stimmt, aber ich habe mich geändert, als ich eine eigene Wohnung hatte!»
    Marlenes Verhalten änderte sich nicht, die Unordnung blieb. Nach drei Wochen gab die Mutter – wie sie Marlene als Konsequenz ihres Tuns angekündigt hatte – eine Annonce in der Zeitung auf – mit Chiffre-Nummer. Es kamen zahlreiche Anfragen. Als Marlene die Briefe auf dem Tisch herumliegen sah, flippte sie völlig aus, zog sich zwei Tage maulend und beleidigt in ihr Zimmer zurück. Dann eröffnete sie ihrer Mutter: «Ich ziehe zu

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