Punktlandung in Sachen Liebe (German Edition)
Oliver. »Es ist eins seiner besten.«
»Habe ich schon gehört.«
»Irgendjemand hat es ganz sicher gelesen. Guck dir mal die ganzen umgeknickten Seitenecken an.«
»Es gehört meinem Dad«, sagt Hadley mit zusammengezogenen Brauen. »Er hat es mir gegeben.«
Oliver schaut zu ihr hoch und klappt das Buch auf seinem Schoß zu. »Und?«
»Und ich nehme es mit nach London, um es ihm zurückzugeben.«
»Ohne es gelesen zu haben?«
»Ohne es gelesen zu haben.«
»Ich schätze, das ist komplizierter, als es sich anhört.«
Hadley nickt. »Richtig geschätzt.«
Er hatte Hadley das Buch im Skiurlaub gegeben, als sie ihn zum letzten Mal gesehen hat. Auf dem Heimweg hatten sie direkt vor der Schlange am Sicherheitscheck gestanden, als er den dicken schwarzen Band aus seiner Tasche zog, mit zerlesenen, vergilbten Seiten und den vielen umgeknickten Ecken, die wie fehlende Puzzleteile aussahen.
»Ich dachte, das könnte dir gefallen«, sagte er, und sein Lächeln hatte etwas leicht Verzweifeltes. Seit Hadley sein Telefonat mit Charlotte mitgehört und sie eins und eins zusammengezählt hatte, hatte sie kaum noch mit ihm gesprochen. Sie dachte bloß noch daran, nach Hause zu kommen, wo sie sich auf dem Sofa zusammenrollen, ihrer Mutter den Kopf auf den Schoß legen und all die Tränen rauslassen konnte, die sie zurückgehalten hatte. Sie wollte bloß noch weinen, weinen, weinen, bis es nichts mehr zu weinen gab.
Aber jetzt stand Dad vor ihr, mit seinem ungewohnten Bart und dem neuen Tweedjackett, sein Herz war weit weg irgendwo hinterm Ozean, und seine Hand sank unter dem Gewicht des Buches, das er ihr hinhielt. »Keine Sorge«, sagte er mit schwachem Grinsen. »Es sind keine Gedichte.«
Endlich griff Hadley danach und schaute auf den Einband. Es hatte keinen Schutzumschlag, bloß die geprägten Worte auf dem Schwarz: Unser gemeinsamer Freund .
»Es ist im Moment nicht leicht«, sagte Dad mit leicht brechender Stimme. »Ich habe nicht mehr oft Gelegenheit, dir Bücher zu empfehlen. Aber manche sind zu wichtig, um in all dem unterzugehen.« Er wedelte unbestimmt mit der Hand, als wollte er damit erklären, was all das genau war.
»Danke«, sagte Hadley und schloss das Buch in die Arme, um nicht ihn in die Arme schließen zu müssen. Dass ihnen nur dies blieb, dieses unbehagliche, arrangierte Zusammentreffen, dieses schreckliche Schweigen, das war mehr, als sie ertragen konnte, und die ganze Ungerechtigkeit stieg in ihr hoch. Es war seine Schuld, alles seine Schuld, und doch war ihr Hass auf ihn die schlimmste Sorte Liebe, ein gequältes Sehnen, ein fehlgeleiteter Wunsch, der ihr das Herz in der Brust hämmern ließ. Sie konnte sich des zusammenhanglosen Gefühls nicht erwehren, dass sie jetzt zwei verschiedene Teile von zwei verschiedenen Puzzles waren, und dass nichts auf der Welt dafür sorgen konnte, dass sie wieder zusammenpassten.
»Komm mich bald besuchen, ja?«, sagte er und trat rasch vor, um sie zu umarmen, und sie nickte gegen seine Brust, ehe sie sich losmachte. Aber sie wusste, dazu würde es nicht kommen. Sie hatte nicht die Absicht, ihn dort zu besuchen. Selbst wenn sie für einen solchen Vorschlag offen gewesen wäre, wie Mom und Dad beide hofften, schien ihr das rein rechnerisch unmöglich. Was sollte sie tun, Weihnachten hier und Ostern dort verbringen? Ihren Vater jeden zweiten Familienfeiertag sehen, und eine Woche im Sommer, gerade genug, um Bruchstücke seines neuen Lebens zu erhaschen, kleine Splitter einer Welt, an der sie keinen Anteil hatte? Und dabei die ganze Zeit die gleichen Augenblicke im Leben ihrer Mutter zu verpassen – ihrer Mutter, die doch nichts getan hatte, um ein Weihnachten allein zu verdienen?
So , dachte Hadley, konnte man nicht leben. Vielleicht, wenn es mehr Zeit gäbe, oder wenn die Zeit formbar wäre; wenn sie an beiden Orten gleichzeitig sein, zwei Parallelleben führen könnte; oder noch einfacher, wenn Dad einfach nach Hause käme. Denn was sie betraf, gab es keinen Mittelweg: Sie wollte alles oder nichts, ganz unlogisch und unvernünftig, obwohl sie irgendwo tief drinnen wusste, dass nichts zu hart war, und alles unmöglich.
Als sie vom Skiurlaub nach Hause kam, schob sie das Buch in eins ihrer Regale. Aber es dauerte nicht lange, bis sie es woanders verstaute, unter anderen Büchern am Rand ihres Schreibtischs, dann in der Nähe der Fensterbank. Der dicke Roman hüpfte durch ihr Zimmer wie ein Stein übers Wasser, bis er sich schließlich auf dem Boden ihres
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