Punktlandung in Sachen Liebe (German Edition)
macht sie sich nicht viele Gedanken über Frisur und Make-up, und sie verbringt auch nicht viel Zeit vorm Spiegel, aber sie ist anscheinend zierlich, blond und hübsch genug für die Jungs an ihrer Schule. Doch der Anblick im Spiegel war ziemlich erschreckend gewesen, und nun war sie sogar noch mal eingenickt. Kaum vorstellbar, wie sie jetzt aussehen muss. Jeder Zentimeter ihres Körpers schmerzt vor Erschöpfung, ihre Augen brennen, ihre Bluse hat einen Getränkefleck neben dem Kragen, und sie fürchtet sich fast davor nachzuforschen, was inzwischen mit ihren Haaren los ist.
Aber auch Oliver sieht anders aus. Es ist seltsam, ihn im Tageslicht zu sehen, so als hätte man den Fernseher auf HDTV umgestellt. In seinen Augen hängt immer noch Schlaf, und an seiner Wange hat ihre Bluse einen Abdruck hinterlassen, der sich bis zur Schläfe zieht. Aber das ist es nicht nur. Seine Augen sind gerötet, er wirkt bleich und müde und ausgelaugt, irgendwie weit weg.
Er drückt den Rücken durch und reckt sich, linst dann trübe auf seine Armbanduhr. »Fast da.«
Hadley nickt erleichtert, dass sie planmäßig ankommen werden, auch wenn sie sich insgeheim mehr Zeit wünscht. Trotz allem – trotz der vollen Kabine, des beengten Raumes, der Gerüche, die nun schon seit Stunden durch die Kabine wehen – ist sie eigentlich noch nicht bereit, die Maschine zu verlassen, in der sie sich so mühelos im Gespräch verlieren und alles vergessen konnte, was hinter und vor ihr liegt.
Der Mann vor ihnen schiebt seine Blende hoch, und ein weißer Lichtbalken – so erschreckend hell, dass Hadley sich die Hand vor Augen hält – fällt herein und vertreibt die Dunkelheit, den letzten Rest des Zaubers der vergangenen Nacht. Hadley schiebt auch ihre Blende hoch, der Bann ist nun offiziell gebrochen. Der Himmel draußen ist von blendendem Blau, durchzogen von weißen Wolken, wie ein Schichtkuchen. Nach so vielen Stunden im Dunkeln tut es beinah weh, wenn man zu lange hinschaut.
In New York ist es gerade vier Uhr morgens, und als die Stimme des Piloten aus dem Lautsprecher dringt, klingt sie viel zu fröhlich für die frühe Stunde. »Na dann, Leute«, sagt er, »wir beginnen jetzt mit dem Anflug auf Heathrow. Das Wetter unten in London sieht ganz gut aus: zweiundzwanzig Grad und heiter bis wolkig. Wir werden in nicht ganz zwanzig Minuten landen, also schnallen Sie sich bitte an. Es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen zu fliegen, und ich hoffe, Sie können Ihren Aufenthalt hier genießen.«
Hadley wendet sich an Oliver. »Wie viel ist das in Fahrenheit?«
»Warm«, sagt er, und im gleichen Moment wird ihr selbst zu warm. Vielleicht liegt es an der Vorhersage oder an der Sonne, die durchs Fenster knallt, oder vielleicht auch nur an der Nähe dieses Jungen neben ihr, mit dem zerknitterten Hemd und den rosaroten Wangen. Sie streckt sich, um an die Luftdüse über ihr zu kommen, dreht sie ganz nach links und verschließt dann die Augen vor dem dünnen Strahl kalter Luft.
»So«, sagt er und lässt alle Fingerknöchel einzeln knacken.
»So.«
Sie schauen einander von der Seite an, und irgendetwas in seiner Miene – eine Unsicherheit, die Hadley an ihre eigene erinnert – bringt sie fast zum Weinen. Eigentlich hat es zwischen gestern Abend und heute Morgen gar keine richtige Grenze gegeben. Die Dunkelheit hat sich einfach in Licht aufgelöst, und trotzdem fühlt sich alles plötzlich so schrecklich anders an. Sie denkt daran, wie sie zusammen bei den Toiletten gestanden haben, wie es schien, als stünden sie an einer Schwelle, einer Schwelle zu etwas Großem, als verändere sich die Welt, während sie sich dort im Dunkeln aneinanderlehnten. Und jetzt sitzen sie hier wie zwei höfliche Fremde, als hätte sie sich den ganzen Rest bloß eingebildet. Sie wünschte, sie könnten umkehren und in Gegenrichtung zurückfliegen, den Globus umgekehrt umrunden, der Nacht nachjagen, die sie hinter sich gelassen haben.
»Meinst du«, ihre Worte kommen schwer aus der Kehle, »dass wir letzte Nacht unseren ganzen Gesprächsstoff aufgebraucht haben?«
»Unmöglich«, sagt Oliver, und die Art wie er das sagt, mit so viel Wärme in der Stimme, wie seine Mundwinkel zum Lächeln nach oben gehen, löst den Knoten in Hadleys Bauch. »Wir sind doch noch nicht mal zu den wichtigen Sachen vorgedrungen.«
»Zum Beispiel?«, fragt sie und versucht ein Gesicht aufzusetzen, das ihre Erleichterung verbirgt. »Was so toll an Dickens ist?«
»Nein, doch nicht so
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