Puppenbraut
du?“
„Bevor es gar nicht geht, nehme ich, was ich kriege!“, entgegnete Ree mit einer Mischung aus Enttäuschung und Verständnis in der Stimme. Ell beugte sich zu ihrer Frau und umarmte sie so fest, wie sie nur konnte. Diesmal war in dieser Geste kaum Erotik, sondern pure Liebe zweier Menschen enthalten, die der Angst in die Augen gesehen hatten. „Ich liebe dich über alles!“, flüsterte Doreen ganz leise in Raffaellas Ohr. „Ich dich auch!“
*****
Immer wieder gedachte er der Momente, in denen er Zoey beobachtete. Voller Wonne erlebte er jedes Detail wieder und immer wieder. Er lächelte, während seine Hände mit den Putzlappen den Staub vom Brooklyn-Hospital befreiten. Jetzt konnte er sich voll und ganz seinen Fantasien hingeben. Seine wunderschöne Zoey! Während sie so mit ihm spielte, wusste keiner – nicht mal ihre Mutter -, dass er bereits alles über sie wusste.
‘Dieses Foto von der Journalistin! ‘, dachte er plötzlich angewidert. Es ließ ihm keine Ruhe. ‘Was wollte sie mir damit sagen? Zoey war schon fast erwachsen! Das werde ich ihr bald beweisen! Und zwar so, dass sie es ein für alle Mal versteht!’
Noch immer ging ihm dieses verdammte Foto nicht aus dem Kopf. Es erinnerte ihn daran, dass es keine Bilder aus seiner Kindheit gab. Er hatte einfach niemanden gekannt, der auch nur das geringste Interesse daran gezeigt hätte, eine Erinnerung von ihm zu haben, und sei es nur in Form einer Fotografie.
Schon zu seiner Schulzeit hatte sein Interesse Computern gegolten. Damals hatten seine Eltern nicht gemerkt, wie ihr Kind immer wieder bei dem ‘Nachbarn von nebenan’ verschwunden war. Dazu waren sie auch für gewöhnlich nicht ansprechbar gewesen. Seine leibliche Mutter war seit jeher eine Alkoholikerin gewesen. Und sein Vater – auch nicht besser! Das heißt, wenn er überhaupt mal zu Hause gewesen war. Beide hatten angeblich nie gemerkt, dass er sich von Zeit zu Zeit davonstahl.
Vielleicht wollte es seine Mutter nicht merken, weil sie die meiste Zeit mit ihren Freiern beschäftigt war? Irgendwann war es ihm jedoch egal geworden. Es war sogar besser so! Im Grunde hatte er die Möglichkeit bekommen, keine ‘ schlimmen Fehler‘ zu Hause zu machen, für die er durch zwei lallende Monster mit glühenden Zigaretten bestraft wurde. Die körperliche ‘Nachbarschaftsliebe’ war der Preis, den er zu zahlen bereit war. Mit der Zeit konnte er sogar diese besondere Zuwendung eines erwachsenen Mannes erwartungsgemäß erwidern, ohne sofort vor Ekel ins Badezimmer zu rennen. Er stumpfte ab. Auch gegenüber den Beteuerungen, wie sehr ihn dieses miese Schwein liebte. Geschäft war halt Geschäft. Liebe für Wissen.
Sein Durchhaltevermögen hatte sich schließlich gelohnt. Er wurde zu einem recht guten Schüler und saugte das Wissen förmlich in sich auf. Selbst heute lernte er immer noch dazu, obwohl bereits viel Zeit seit der Schule vergangen war. Es war erstaunlich, wie leicht es heutzutage fiel, eine neue Identität im Cyberspace aufzubauen.
Die World-Wide-Web-Welt war so viel schöner und aufregender als seine reale gewesen. Er musste sich bloß einen Lebenslauf ausdenken, ein Foto eines gut aussehenden Mannes im Netz der unbegrenzten Möglichkeiten suchen, und er erfuhr alles über die Menschen. Ihre Fotos, ihre Geburtstage, die Namen und Fotos ihrer Kinder, Eltern, ihre Adressen, ihre Telefonnummern. Alles, was er sich wünschte, um Zoey und die anderen zu finden!
All die Antworten standen im weiten, mächtigen Universum verstreut. Er musste nur die Hand ausbreiten und danach greifen. Die Menschen chatteten mit ihm, ohne dass sie seine wahre Identität kannten. Jedem von ihnen konnte er Märchen auftischen, die sie hören wollten.
Seine größte Passion war, diesen Menschen mundgerechte Wahrheitshäppchen zu geben, in denen er sich immer eine neue Rolle ausdachte hatte. Mal war er ein Buchhändler, gefesselt an den Rollstuhl. Mal eine trauernde Witwe. Aber seine Paraderolle war die von ‘Alex0787’. Und Amy Andrews war so leicht darauf reingefallen.
Kopfschüttelnd betrachtete er einen Stoß Zettel und nahm den obersten zur Hand. Warum hatte sie bloß alle diese Flyer hierher gebracht? Die Journalistin hatte sie überall verteilt, den ganzen Weg von Boerum Park bis zum Kiosk hatte sie damit gepflastert. Es hatte ihn viel Zeit gekostet, sie aufzusammeln. Doch es war ihm im Grunde egal, sollten sie alle doch nach dem “Dolly-Lover” suchen! Seine Zoey würden sie eh
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