Pusteblume
Milo O’Grady.«
»Und trägt Arbeitshosen.« Katherine hatte auch eine Meinung dazu.
»Er hat nie von Tricia Guild gehört.«
»Und du nie von Maul-und Klauenseuche. Wie soll das funktionieren? «
»Er ist ein Mann vom Land.« Liv hatte einen besonderen Glanz in den Augen. »Er schafft neues Leben, mit seinen Händen, er erntet und sät. Was könnte verdienstvoller sein?«
»Gehirnchirurg«, sagte Katherine.
»Sozialarbeiter«, sagte Tara.
»Buchhalter.«
»Schuhdesigner.«
»Er arbeitet mit den Händen. Mit seinen großen, kräftigen Händen, die so sexy sind. Seht ihr nicht, wie schön er ist?«
»Nein«, sagte Tara, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Liv, du bist in merkwürdiger Verfassung«, redete Katherine auf sie ein. »Wir stehen alle unter Strom. Und du hast deinen geliebten Lars doch nicht vergessen, oder?«
»Dieser Arsch«, sagte Liv wegwerfend. Plötzlich wurde sie ihrer selbst gewahr und stöhnte beschämt: »Wie kann ich nur? Wie kann ich zur Zeit an einen Mann denken? Wie ich mich hasse!«
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Tara. »Bitte, das sollst du nicht. Es ist eine schwierige Zeit, und wenn es dir ein Trost ist, dann kann ich dir sagen, daß ich tagelang über mich und Thomas nachgegrübelt habe, und dann war ich so zerknirscht. Es scheint so unangebracht!«
Katherine hatte das Gefühl, eine große Last würde von ihr genommen. »Ich bin dir so dankbar, daß du das sagst, Tara. Ich habe mich in diesen Tagen auch mit Dingen befaßt, die nichts mit Fintan zu tun haben, und dann habe ich gedacht, was für ein schlechter Mensch ich bin. Und habe mich dafür gehaßt.«
»Wirklich? Ich habe mich auch gehaßt«, rief Tara.
»Ich bin froh, daß ihr das sagt, ich habe mich auch gehaßt«, stimmte Liv mit ein.
Sie lächelten einander verlegen und erleichtert zu, jetzt, da ihre beschämenden Geheimnisse offenlagen, und fühlten sich unendlich befreit.
»Entweder sind wir drei ganz schlimme Weiber«, meinte Tara, »oder wir sind ziemlich normal.«
»Aber der arme Fintan«, sagte Katherine. »Wie muß es ihm gehen? Wie fühlt man sich wohl, wenn man denkt, man hat nur noch wenig Zeit? Ich versuche dauernd, mir das vorzustellen.«
»Ich auch«, gestand Tara.
»Ich auch«, sagte Liv.
»Stellt euch vor, ihr hättet nur noch sechs Monate zu leben«, sagte Tara eindringlich. »Daß ihr den nächsten Mai schon nicht mehr erleben würdet.«
Als Katherine und Liv sie schockiert ansahen, drängte sie sie: »Und?«
Katherine kam sich komisch vor und schloß die Augen. Wie würde sie sich fühlen? Es wäre ihr letztes Weihnachten. Sie würde nie wieder einen Sommer erleben. Einhundertachtzig Tage statt der tausend und abertausend Tage, die sie sich immer in langer Reihe vorgestellt hatte.
Sie war überrascht, als sich etwas in ihrer Wahrnehmung änderte. Ein einzelner Tag, der aufgrund der Tatsache, daß es noch viele andere seiner Art gab, völlig uninteressant und wertlos war, stand plötzlich klar und deutlich vor ihr, und jeder Aspekt schien süß und kostbar. Kostbar wie ein Diamant, vom erwartungsvollen Aufwachen am Morgen bis zum Zeitpunkt, wo man sich am Ende des Tages zur Ruhe begibt. Sie spürte das dringende Bedürfnis, ihn zu füllen, ihn weise zu nutzen, alle erstrebenswerten und wichtigen Dinge zu tun.
Es kam nicht darauf an, verantwortungsvoll zu sein – sie würde nicht mehr dasein, um die Belohnung in Empfang zu nehmen. Wichtiger noch, es kam nicht darauf an, vorsichtig zu sein – sie würde nicht mehr dasein, um die Konsequenzen zu erleben. Sie geriet fast in Panik, als sie an all die Dinge dachte, die sie in ihren sechs Monaten tun wollte – das Wunder von den Broten und den Fischen müßte wiederholt werden, um alles hineinzupacken.
Ihre Regeln und Barrikaden schienen ihr plötzlich beklemmend. Verrückt geradezu. Sie wollte sich ins volle Leben stürzen. Alles erleben. Spaß haben. Viel, viel Spaß. Und Sex. Mit Joe Roth. Himmelherrgott! Entsetzt riß sie die Augen auf. Tara und Liv sahen sie an.
»Es macht einem Angst, was?« sagte Tara mit einem Schaudern. »Ich sage euch eins, wenn ich nur noch sechs Monate zu leben hätte, würde ich keine Zeit darauf verschwenden, Thomas zum Heiraten zu bewegen, damit ich im Alter nicht allein bin. Denn ich hätte gar kein Alter vor mir, in dem ich allein sein könnte!«
»Was würdet ihr tun?« fragte Katherine begierig, in dem Wunsch, nicht länger über sich selbst nachzudenken.
»Ich würde Lars sitzenlassen und mein Glück
Weitere Kostenlose Bücher