Pusteblume
gebrochen am Boden lag.
»Es geht nicht mehr«, wiederholte er.
»Wie meinst du das?« fragte sie. Sie wußte es genau, lehnte es aber störrisch ab, es anzuerkennen.
»Es ist Zeit, den Schlußstrich zu ziehen«, sagte er leise. Einen Augenblick tat Tara so, als hätte er nichts gesagt, und weigerte sich, der veränderten Wirklichkeit ins Gesicht zu sehen.
»Nein«, sagte sie panisch. »Das ist nicht nötig, alles ist doch in Ordnung.«
»Es ist nicht in Ordnung«, sagte er. »Du hast einen anderen verdient. Einen, der dir gibt, was du dir wünschst. Es hat keinen Sinn, bei mir zu bleiben, du verschwendest nur deine Zeit.«
»Ich will aber keinen anderen«, beharrte sie. »Lieber möchte ich mit dir zusammensein, so wie es ist, als mit einem anderen verheiratet zu sein.«
Doch sosehr sie ihn auch zu überzeugen versuchte, daß sie mit allem, so wie es war, zufrieden war, wurde er im Lauf des Gesprächs immer halsstarriger. Bis ihr klar wurde, daß keine Hoffnung bestand, ihn zu überreden, und daß es diese Hoffnung nie gegeben hatte. Sein Entschluß hatte festgestanden, bevor das Gespräch begonnen hatte.
Tara verlor fast den Verstand. Wochenlang war sie außer sich, hysterisch. So tief verletzt war sie, daß sie im Bett lag und wie ein Tier brüllte. Und zwar so laut, daß die Leute über ihr eines Abends die Polizei holten.
Sie stellte den CD-Player in ihr Zimmer und spielte unablässig »It’s Over« von Roy Orbinson, während sie brüllte und weinte. Und wenn die letzten Takte verklangen, weinte sie um so lauter und drückte auf die Wiederholungstaste.
An einem Abend zählten Liv und Katherine mit und kamen auf neunundzwanzig Mal hintereinander. Manchmal sang sie halb oder brüllte die Worte mit. Besondere Erleichterung verschaffte ihr jedesmal die Stelle, wo die Musik eine Oktave höher stieg. »It’s ooooh-ohhhh-verrr.« Eine Oktave höher. »IT’S OOOHOHHHH-VERRR.« Die Leute von oben wollten wieder die Polizei rufen.
Sie ließ sich eine weitere Woche krank schreiben, und als sie danach zur Arbeit kam, wünschten sich ihre Kollegen, sie wäre zu Hause geblieben. Jedes Computerprogramm, das sie angeblich getestet hatte, war fehlerhaft und führte in Büros überall in London zu Systemabstürzen. Ein paar Monate mußten die Mitarbeiter in ihrer Abteilung Überstunden machen und Tag und Nacht arbeiten, um Taras Fehler auszubügeln. Sie schlief ungefähr drei Stunden pro Nacht und lief dann, während sie eine Zigarette nach der anderen rauchte, in der Wohnung auf und ab. Sie hörte auf, normal zu funktionieren. Sie vergaß, die Spülung aus ihrem Haar zu waschen. Sie ging an einem Samstag zur Arbeit und wunderte sich, daß das Gebäude verschlossen war. Sie fuhr mit dem Auto zur Arbeit und kam mit der U-Bahn zurück, und am nächsten Morgen dachte sie, ihr Auto sei gestohlen worden, weil sie es vor der Wohnung nicht finden konnte. Sie riß den Deckel von einem Joghurtbecher ab, warf den Becher in den Müll und starrte auf den Deckel, ohne zu begreifen, was sie gemacht hatte. In ruhigeren Moment sprach sie mit geballten Fäusten von Abendkursen, vom Töpfern, Russischlernen und von Backkursen.
Einmal in der Woche, wenn der Schmerz zu groß wurde, rief sie ihn an und bekniete ihn, sich mit ihr zu treffen. Er war jedesmal bereit, und natürlich schliefen sie jedesmal zusammen. Panikerfüllter, tränenreicher Sex, bei dem sie sich gegenseitig die Kleider vom Leib rissen und sich neuen Schmerz zufügten in der Vertrautheit ihrer Körper.
Das passierte so oft, daß Tara dachte, sie könnten vielleicht wieder zusammenkommen. Es war offensichtlich, daß er unter dem Ende der Beziehung genauso litt wie sie und daß er sie immer noch liebte.
Dann wollte er sich eines Abends nicht mit ihr treffen.
»Warum nicht?« fragte sie. Bis dahin war er immer schnell einverstanden gewesen.
Sie hörte, wie er atmete, und in der winzigen Pause, nachdem er Atem geholt hatte und zu sprechen anfing, hatte sie plötzlich ein ganz schlechtes Gefühl. Noch bevor er etwas sagte, wußte sie Bescheid.
»Ich habe jemand anders kennengelernt.«
Tara legte ganz ruhig den Hörer auf, setzte sich ins Auto und fuhr zu Alasdairs Wohnung. Sie schloß die Tür mit dem Schlüssel auf, den sie nicht zurückgegeben hatte, und traf ihn in der Küche, wo er gerade den Wasserkessel aufsetzte. Sie holte aus und schlug ihn so heftig ins Gesicht, daß seine Brille herunterfiel.
Bevor er sich fassen konnte, ohrfeigte sie ihn links und rechts.
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