Pusteblume
beendet.
Am nächsten Morgen rief Joe mehrmals an und hinterließ Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. »Sprich bitte mit mir, Katherine«, flehte er, und seine Höflichkeit konnte seine Verzweiflung nicht verbergen.
Tara konnte es kaum ertragen, ihn zu hören. »Komm jetzt«, sagte sie um zwei Uhr, »wir müssen zu Fintan.«
»Weggehen?« Katherine sah sie entsetzt an. »Ich gehe nicht weg.«
»Aber … warum nicht? Möchtest du nicht seine Schwellungen sehen? Oder besser, seine verschwundenen Schwellungen?«
»Heute nicht.«
»Aber Katherine, seit sechs Monaten warten wir darauf, daß eine Besserung eintritt. Jetzt ist es soweit. Ist es dir gleichgültig?«
»Nein, aber ich möchte heute nicht zu ihm gehen. Es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid«, sagte sie noch einmal, anscheinend aufrichtig.
»Katherine, bitte, ich möchte dir helfen«, sagte Tara flehend. »Du bist komisch. Sprich mit mir, bitte.«
»Geh du zu Fintan. Gib ihm einen Kuß von mir. Wir sehen uns später.«
Schweren Herzens ging Tara, und Katherine atmete erleichtert auf.
Sie war froh, allein zu sein. Sie wußte, daß sie sich seltsam verhielt, aber es war, als könnte sie sich aus der Ferne zuschauen und nicht einschreiten. Als würde sie eine aufgezogene Puppe beobachten, die unkontrolliert herumwanderte, an Türen und Wänden anstieß, ohne Rücksicht auf die eigene Sicherheit. So lange hatte sie sich vorgestellt, Lorcan wiederzubegegnen, daß sie es kaum glauben konnte, daß er einfach in ihr Wohnzimmer spaziert war. Der Schock hatte ihre Verbindung mit der Wirklichkeit unterbrochen. Obwohl mehr als ein Jahrzehnt vergangen war, hatte sie immer das Gefühl gehabt, es sei nicht richtig vorbei. Es war eine unerledigte Angelegenheit, und weil die Vergangenheit die Gegenwart prägte, war sie wichtiger als die Gegenwart.
Im Lauf der Jahre hatte sie sich viele Szenen ausgemalt. In den meisten hatte Lorcan sich, um Verzeihung bittend, vor ihr auf die Knie geworfen, dann hatte sie ihn eine Weile lang leiden lassen und ihm dann verziehen. In anderen Versionen hatte er angenommen, er könne einfach da weitermachen, wo er aufgehört hatte, und sie hatte ihn mit einer Auswahl ihrer eingeübten Blicke und schneidenden Bemerkungen vernichtet.
Wenn Lorcan zurückkam – und sie war überzeugt, daß er innerhalb der nächsten Tage zurückkommen würde –, dann, so war ihr Plan, hätte sie die Zügel fest in der Hand. Dann würde das Ende umgeschrieben, diesmal nach ihren Vorstellungen. Auch wenn sie im voraus nicht wußte, ob sie ihn darin für immer von sich wies oder ob sie gemeinsam in den Sonnenuntergang davonritten. Möglicherweise beides.
Das, was sie sicher wußte, war die Tatsache, daß das Ende, so wie es war, nicht bleiben konnte. Die Bilder der letzten Begegnung hingen ihr immer noch nach, und auch jetzt wand sie sich bei der Erinnerung daran.
»Wir müssen heiraten.« Katherine sah Lorcan fest an. »Warum?«
Sie zögerte einen Moment und blickte sich im Pub um.
Sie hatte gedacht, es sei besser, wenn sie ihm ihre Neuigkeiten an einem öffentlichen Ort erzählen könnte, aber jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. »Weil«, sagte sie und schluckte. Sie konnte kaum fortfahren: »Weil ich ein Kind bekomme.« Sie wußte zwar, daß Lorcan sie nicht sitzenlassen würde, dennoch war sie nervös, weil die Leute sich immer erzählten, daß sich die Männer in diesem heiklen Moment gern aus dem Staub machten. Aber sie beruhigte sich, indem sie sich sagte, nur dumme, sorglose Mädchen wurden sitzengelassen, und niemand war so umsichtig wie sie. »Sag doch was«, drängte sie ihn. »Bist du böse? Wenn, dann ist das ungerecht, es gehören immer zwei dazu…« Aber er sah nicht böse aus, nur verdrossen. »Ich kann dich nicht heiraten«, sagte er mitleidig und ratlos.
»Warum nicht?«
Ihre Stimme war schrill, und ihre Augen waren wie zwei tiefe Höhlen in ihrem weißen Gesicht. »Weil«, sagte er deutlich gereizt, »ich schon verheiratet bin.«
Sie wäre beinahe ohnmächtig geworden. In ihren Ohren rauschte das Blut, und der Pub verwandelte sich in den Vorraum der Hölle. Während sie den Blick auf Lorcan gerichtet hielt, nahm sein vertrautes Gesicht die Züge eines Teufels an. Sein sinnlicher Mund wurde zu einer grausamen schmalen Linie, seine feingeschnittene Nase war plötzlich spitz und gebogen, und seine rehbraunen Augen leuchteten wie rotglühende Kohlen. »Das verstehe ich nicht«, sagte sie, und das stimmte auch.
»Ich bin schon
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